Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille
Krieger hatten sich darüber amüsiert, wie sie ihre Verfolger, die Hunde des Rechten Wegs, geschlagen hatten. Stimmte das denn? Hieß das, daß sie nie mehr befreit werden würden und ihr Leben als Sklaven zubringen müßten? Er hatte Eisenholz gefragt, und der große Mann hatte schwach gelächelt und gesagt: »Ihr andern vielleicht. Ich habe einmal dieses Dorf überfallen, Sängerling. Ich habe hier getötet, Gefangene genommen, einschließlich Eichelhähers Tochter. Ich glaube nicht, daß er mir die Gnade des Sklavendaseins gewährt.« An dieser Stelle hatte Nachtsonne sich mit der Schulter an Eisenholz gelehnt, und sie hatten sich lange Zeit in die Augen gesehen.
Auf dem Marsch hatten sie kaum Zeit gehabt, miteinander zu sprechen. Die Mogollon hatten sie schon vor Tagesanbruch mit Tritten geweckt und bis nach dem Dunkelwerden am Laufen gehalten. Sie hatten gegessen und getrunken, was ihre Wärter ihnen zu geben geruhten, und waren sofort in tiefen Schlaf gefallen.
Aber nun war jedenfalls dieser Teil des Marschs zu Ende. Halb unbewußt nahm er wahr, daß der Regen endlich aufgehört hatte, obwohl der Himmel immer noch mit weiteren Schauern drohte. Hohe Pappeln wölbten sich über Sängerlings Kopf, die Zweige voller junger Blätter. Eisenholz rutschte herum, um über die Schulter zu Eichelhäher und Trauertaube zu sehen. Sie gingen den Pfad zum Fluß hinunter. Beide hatten gebadet. Eichelhähers schmales Gesicht und graues Haar glänzte, und er hatte ein sauberes hellbraunes Hemd angezogen. Trauertaube hatte ihr schwarzes Haar geflochten. Sie war eine kleine, zart gebaute Frau und lächelte jetzt so strahlend, als wäre sie zum ersten Mal im Leben glücklich. Ihre vollen Wangen glühten rosig. Sie trug ein sauberes, orangefarbenes Kleid mit zwei schwarzen Streifen rings um Saum, Ärmel und Ausschnitt. Trauertaube verhielt zwei Körperlängen hinter Düne und Nordlicht, als wollte sie den berühmten heiligen Männern nicht zu nahe sein.
Sängerling verstand das; Düne schoß tödliche Blicke auf die Leute. Jeder Wachtposten, der an ihm vorbeiging, machte mit erhobener Hand ein Abwehrzeichen gegen den bösen Blick, was Düne zu gefallen schien. Er war zwar den ganzen Weg getragen worden, aber dennoch war sein alter Körper sehr ausgemergelt, und nun sah es aus, als hätte er kaum noch genug Haut auf den Knochen, um sie zusammenzuhalten. Sein weißes Haar hing ihm in schmutzigen Strähnen über das verrunzelte Gesicht. Auf dem Marsch hatte Düne wie üblich versucht, mit Sängerling zu sprechen, aber die Wachen hatten es niemals zugelassen, und offenbar hatte Düne keine Lust, Sängerling etwas zu sagen, was jemand mithören könnte. Auch Sängerling hatte den dringenden Wunsch, mit ihm zu sprechen; der Blick aus Dünes trüben Augen verriet ihm, daß er wichtige Neuigkeiten mitzuteilen hatte.
Eichelhäher ging um den Kreis herum und stand nun zwischen Distel und Sängerling, die Augen fest auf das Gesicht der schlafenden Maisfaser gerichtet. O Maisfaser, was immer geschieht, wird jetzt geschehen. Ich wünschte, ich könnte dir alles abnehmen. Aber das konnte er nicht. Jetzt noch nicht.
Eichelhäher holte tief Luft, erschöpft zwar und noch im Hochgefühl seines Sieges, aber dennoch tief beunruhigt. Was würde diese Nacht ihm bringen? Nach all diesen Jahren stand er hier an einem Ziel, das er erträumt und ersehnt hatte - und an einem Neuanfang, der ihn verwirrte.
Er registrierte die Stellungen seiner Posten, sechs rings um das Lager, zehn auf Anhöhen um das Dorf der Gila-Monster-Klippen herum. Dann schaute er prüfend in die Gesichter der Gefangenen. Düne, der Heimatlose, und Nachtsonne starrten ihn herausfordernd an, während Eisenholz und Sängerling offenbar bereit waren, sich mit dem abzufinden, was die Zukunft ihnen bringen würde. Nordlicht hielt den Kopf gesenkt, nicht gewillt, ihn anzusehen, und das erweckte Eichelhähers Argwohn. Ein Mann, der sich weigerte, seinen Feind anzusehen, fürchtete entweder, was er vielleicht im Auge seines Feindes sehen könnte - oder was sein Feind in seinen Augen sehen könnte.
Ich muß diesen Mann im Auge behalten. Er hatte erfahren, daß die meisten in Krallenstadt Nordlicht für einen Hexenmeister hielten. Sein Leben lang hatte Eichelhäher einen unbarmherzigen Kampf gegen die Schlafmacher und ihr verderbenbringendes Wesen geführt.
Trauertaube setzte sich wachsam hinter Düne. Beim Abendessen hatte sie Eichelhäher manches erzählt, manches aber auch listig für
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