Vorzeitsaga 09 - Das Volk des Nebels
fühlte er sich verpflichtet, dem Häuptling beizustehen, einem Mann namens Pirscht Bei Nacht, und nahm sich eine Kriegskeule, um zu kämpfen. Er tötete meinen Unterführer, und ich tötete ihn. Nach dem Kampf beanspruchte ich Kupferdonner und seine Mutter für mich, und ich nahm sie als Sklaven in mein Haus.«
»Wie kam er hierher?«
»Wahrscheinlich lief er davon. Und er ist sicher nicht darauf erpicht, dass jeder von seiner Vergangenheit als Sklave erfährt.« Jaguar seufzte. »Vielleicht hätte ich dir damals, an diesem längst vergangenen Tag, einen Gefallen getan, wenn ich ihm den Kopf abgeschnitten hätte, statt ihn mitzunehmen, damit er mir Wasser bringt und Brennholz herbeischleppt.«
»Deshalb hasst er dich?«
»Ich kann es ihm nicht übel nehmen. Ich zerstörte sein Leben.«
»Und seine Mutter?«
»Sie hat meine Bedürfnisse befriedigt, solange ich dort war. Als ich fortging, nahm sie ein anderer, und ich weiß nicht, was aus ihr wurde. Ich vermute, sie ist tot. Ursprünglich kam sie aus den oberen Dörfern. Eines Tages kam der Händler, und sie verliebte sich in ihn und begleitete ihn, als er Handel trieb, jenseits der Berge, an den großen Flüssen. Sie war es gewohnt, gut behandelt zu werden, und fand sich nie damit ab, eine Sklavin zu sein. Grasmatte war noch jung. Ein Junge ist biegsamer, aber in jener Zeit, als er geschlagen wurde und leben musste wie ein Tier, verdarb etwas in ihm, und so wurde er, was er heute ist.«
Muschelkamm klatschte in die Hände und beugte sich vor, um noch mehr Wasser auf die heißen Steine zu schütten. Als der Dampf aufstieg, fragte sie: »Was ist mit den Tätowierungen? Bedeuten sie etwas?«
»Es sind die Zeichen eines Schlangenhäuptlings. Dein Kupferdonner versucht, sich in den Mann zu verwandeln, den er als Junge so leidenschaftlich hasste. Neid ist wie der Biss einer Kupferkopfschlange, voll tödlichem Gift.«
»Er sagt, du habest deine Feinde vergiftet und seist sehr gut darin gewesen, deine Rivalen verschwinden zu lassen.«
Jaguar holte tief Luft. »Du hast erzählt, dass du in deinem Leben mehr Fehler gemacht hast, als ein Mensch allein machen darf. Als ich jung war, erging es mir ebenso. Und wie du habe auch ich dafür bezahlt.« Er ließ ein gequältes heiseres Lachen hören. »Was auch immer Kupferdonner dir von mir erzählt wenn es nicht stimmt, es hätte doch wahr sein können.«
»So warst du also ein großer einflussreicher Kriegshäuptling. Was hast du angestellt? Mit der Frau des Schlangenhäuptlings herumgetändelt? Wie kommt es, dass ein gefürchteter Kriegsheld als Zauberer auf einer Insel in der Salzwasserbucht endet?«
Er schloss die Augen und sah sich: hoch gewachsen, stark, in bunt gefärbte Stoffe gekleidet, den Leib mit Ketten aus glänzendem Kupfer behängt. Von seinem Haus aus, das hoch auf einem Hügel am Westende des Platzes lag, blickte er über den glitzernden Fluss des Schwarzen Kriegers, über schilfgedeckte Häuser in den Maisfeldern hinweg. Die Reihe seiner Sklaven kniete vor ihm, den Kopf gesenkt. Blaue, gelbe und orangefarbene Federn schmückten sein Haar, das eine Nadel aus poliertem Kupfer zusammenhielt.
Am Fuß des hohen viereckigen Hügels befand sich eine mannshohe Pyramide aus Menschenschädeln, die im hellen Sonnenlicht verfaulten. Selbst jetzt, nach so vielen Blätterblüten, hatte er noch immer diesen Geruch in der Nase; und er hörte noch immer das Summen der Fliegen.
Er wischte sich den Schweiß vom Gesicht, als er in die Vergangenheit blickte, in diesen dunklen Raum, durch dessen kleines Fenster das Mondlicht fiel. Er hörte den Ruf der Eulen im Wald und roch das brackige Wasser und den Schlamm des Flusses des Schwarzen Kriegers.
»Ich hatte einen Traum. Erster Mann, der Wolfträumer, kam zu mir und fragte mich: ›Wer bist du, Rabe? Was ist aus dir geworden?‹ Und ich gab zur Antwort: ›Ich bin der mächtige Rabe, der Kriegshäuptling des berühmten Aufsteigender Weißer Rauch, des Herrn der Drei Flüsse. Vor mir zittert die Welt, denn ich bin meines Herrn peitschender rechter Arm.‹ ›Du bist verdorben worden‹, antwortete der Wolfträumer traurig. ›Du wurdest unter dem Zeichen des Wolfs geboren, und nun stehst du hier, vom Raben verführt. Sieh in dich hinein, großer Mann, und sage mir, was du siehst.‹«
Jaguar leckte sich die Lippen und starrte ins Dunkel der Schwitzhütte. »Und das tat ich, unbesonnen und halsstarrig, wie ich war. Was hatte ich denn, ausgerechnet ich, zu fürchten? Ich …
Weitere Kostenlose Bücher