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Vorzeitsaga 09 - Das Volk des Nebels

Vorzeitsaga 09 - Das Volk des Nebels

Titel: Vorzeitsaga 09 - Das Volk des Nebels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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sah in mich hinein … und gewahrte, was aus mir geworden war.« Er schüttelte sich, schüttelte bedrohliche Erinnerungen ab. »In jener Nacht stritt ich mich mit meinem Häuptling, ich verlor den Verstand, und später … später in der Nacht ging ich fort. Sagte niemandem etwas. Ich ging durch die hohen Tore, über die Maisfelder und in den Wald, ohne zurückzublicken. Hungrig, verschmutzt und einsam, so marschierte ich nach Norden, am Fluss des Schwarzen Kriegers entlang und hinauf ins Gebirge. Ich folgte seinen Lauf nach Osten, von Gipfel zu Gipfel, und von dort oben stieg ich hinunter in das Land meiner Geburt. Allein, besiegt und stumm, so kehrte ich heim.«
    Muschelkamm wartete geduldig.
    »Ja, das ist alles.« Jaguar lächelte grimmig in die heißen Dampfschwaden hinein. »Ich fuhr zu meiner Insel hinaus, um mich selbst zu finden.«
    »Und? Hast du dich gefunden?«
    Er bewegte seine Finger. Die Hitze hatte die Steifheit des Alters aus ihnen herausgelöst. »O ja. Und das, was ich fand, erschreckte mich zu Tode.«
    Sie rutschte unruhig hin und her. »Und warum bist du hier?«
    »Wegen der Unschuld«, antwortete er.
    »Das verstehe ich nicht.«
    Er straffte den Rücken. »Das verlangt niemand von dir. Du kannst dich nicht finden, wenn du nicht zuerst verloren warst. Um zu sehen, musst du zuerst blind sein. Um das Gute zu finden, musst du zuerst böse sein. Um Reichtum zu erlangen, musst du zuerst die Armut suchen. Um wirklich frei zu sein, musst du zuerst ein Sklave werden.«
    »Das ergibt keinen Sinn.«
    »Dabei ist es das Sinnvollste auf der Welt.« Er warf ihr einen Blick von der Seite her zu. »Und was ist mit dir, Muschelkamm? Hast du jemals tief in deine eigene Seele geblickt?« Er spürte ihre Angst.
    »Natürlich.«
    »Du lügst«, entgegnete er freimütig. »Aber letztlich lügen wir alle.«
    »Ich weiß«, sagte sie leise. »Denn manchmal tut es zu weh, die Wahrheit zu sagen.«

Vier
    Neuntöter beobachtete die Wolken, die nach Osten zum Ozean eilten. Er hatte sich eine Stelle ausgesucht, von der aus er über das Wasser bis hin zum anderen Ufer blicken konnte. Auf der schieferfarbenen Wasseroberfläche wanderten kleine Wellen unbarmherzig auf die Ufer zu. Sie kräuselten sich, gaben dem Land einen Schlag und starben.
    Neuntöter lehnte an einer Ulme, deren raue Rinde rissig und narbig geworden war unter der Last der Zeit und der Feuer, die seine Leute legten, um in regelmäßigen Abständen das Unkraut auf den Feldern zu verruchten. Von hier aus konnte er das gegenüberliegende Ufer mit dem in grauen Winterpelz gehüllten Wald sehen. Aber sein Blick war unverwandt auf die Schwitzhütte gerichtet - und auf das Mädchen, das vor dem Einlass Wache hielt.
    Als Jaguar hinter dem Vorhang verschwunden war, hatte Neuntöter neben Sonnenmuschel gewartet und das meiste von dem gehört, was drinnen besprochen wurde. Doch als Muschelkamm in den dämmrigen Nachmittag hinaustrat, nackt und schweißglänzend, hatte er sich unbehaglich gefühlt/und war fortgegangen. Sie hatte ihr nasses Haar zu einem dicken Knoten geschlungen und schlenderte zu dem kalten Wasser gerade unterhalb der Hüttentür, um sich darin abzukühlen.
    Einen Lidschlag lang ließ Neuntöter sich dazu hinreißen, ihren geschmeidigen Körper zu bewundern.
    Die athletischen Formen hätten auch einer halb so alten Frau gut gestanden.
    Was hatte sie, das ihn so fesselte? Ihr Leib und der sinnliche Ausdruck in ihren Augen machten sie begehrenswerter als alle anderen Frauen, die er je gekannt hatte. War es die erotische Art, mit der sie sich bewegte, oder die gespannte Aufmerksamkeit, mit der sie einem Mann zuhörte, die sie so unwiderstehlich machten? Er hatte oft mit ihr gesprochen, und sie hatte ihn mehr als einmal verzaubert. Er schien in ihren Blick zu versinken, und sein Herz raste, wenn er der Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit war. Dann öffneten sich ihre Lippen ein wenig, und seine Sinne schwanden beinahe dahin. Als wäre sie sich ihrer Wirkung auf ihn vollkommen bewusst, stachelte sie ihn mit ihrem Lächeln derart an, dass er nicht mehr fähig war, etwas zu sagen.
    Tropfnass und erschauernd, mit harten Brustwarzen, stieg sie aus dem Wasser und warf sich eine Decke über die Schultern. Da erst bemerkte sie den Beobachter, der zu ihr hinüberblickte. Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln und ging auf die Palisaden zu. Neuntöter machte sich auf den Weg zu der Ulme und lehnte sich an den Stamm, um nachzudenken.
    Mit Mühe drängte er seine

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