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Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken

Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken

Titel: Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
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Lager in Frost-auf-den-Weidens Langhaus. Er war hellwach und lauschte den wirren Worten, die Springender Dachs dem verwesenden Schädel von Lahmer Hirsch zuflüsterte. Sein Magen revoltierte. Wie konnten die Leute nur so selig vor sich hin schnarchen, während diese grässliche Kriegstrophäe sie anglotzte? Springender Dachs hatte den Kopf auf einen kurzen, sechs Hand hohen Holzpfahl gespießt und ihn in die Ecke neben seinem Lager gelehnt. Maishülse lag zwei Schritte von ihm entfernt, gleich neben dem Eingang, doch der durchdringende Gestank drehte ihm dennoch den Magen um. Es war ihm unbegreiflich, dass Frost-auf-den-Weiden diesen Schädel in ihrem Langhaus duldete. Draußen auf dem Versammlungsplatz aufgestellt, wäre er der stolze Beweis für ihren Sieg, doch hier im Haus war er nur ein bestialisch stinkender Menschenkopf. Die Augen waren in die Höhlen gesunken, vertrocknet und stumpf, und die Haare begannen schon auszufallen. Jedesmal, wenn Springender Dachs den Pfahl bewegte, fielen graue Haarbüschel auf den Boden.
    »Du glaubst wohl, dass ich dich nicht hören kann«, wisperte Springender Dachs, die Nase nur eine Handbreit von dem verwesenden Schädel entfernt. Er kniete auf dem Boden, die Hände rechts und links neben dem Schädel an die Wand gestützt, und starrte in die eingesunkenen Augenhöhlen. »Aber ich kann dich hören. Jedes Wort, das du zu dem Zwergenkind gesagt hast, hallt hundertmal in meinem Kopf wider. Ich weiß genau, was du vorhast. Du und diese verfluchte Wilde Rose.« Sumpfbohne, die links von Maishülse schlief, warf sich auf die Seite und zog sich schnaubend die Decken über den Kopf. Auch etliche andere Hausbewohner gaben murrende Laute von sich. Springender Dachs schien das nicht zu bemerken. Sein Blick war starr auf die toten Augen von Lahmer Hirsch gerichtet.
    »Versuch es erst gar nicht!«, zischte er dem Schädel zu. »Ich werde ihn finden. Hast du mich verstanden? Er kann sich vor mir nicht verstecken!«
    Ein alter Mann stand auf, packte brummend seine Decken und breitete sie am anderen Ende des Langhauses wieder aus. Im rotgoldenen Feuerschein konnte Maishülse sehen, dass er verwundert den Kopf schüttelte, bevor er sich wieder schlafen legte.
    »Wage es nicht, mich auszulachen! Hast du gehört? Lach mich bloß nicht aus!«
    Ein kleiner Junge brach in Tränen aus und wimmerte: »Mutter? Mutter, halt mich fest!« »Schh, schh, es ist alles gut«, tröstete ihn die Mutter und nahm ihn in die Arme.
    Sumpfbohne warf ihre Decken zurück, setzte sich auf und polterte: »Springender Dachs!« Ihr pausbäckiges Gesicht leuchtete orangerot. »Du erschreckst die Kinder. Leg dich endlich schlafen!« Springender Dachs drehte sich ganz langsam um und ließ seinen versteinerten Blick über die Lager seiner schlaflosen Verwandten wandern. Dann sank er sichtlich widerwillig auf seinen Schlafplatz und zog sich die schwarz-weiß gestreifte Decke über den Kopf.
    Erleichtertes Seufzen. Ein paar Leute brummelten noch etwas, dann senkte sich Stille über das Langhaus.
    Maishülse schielte mit einem Auge zu Springender Dachs hinüber, um zu sehen, ob der verrückte Kriegsführer tatsächlich seine erregte Debatte mit dem Kopf von Lahmer Hirsch beendet hatte. Als aus der fraglichen Ecke kein Laut mehr zu hören war, schloss er die Augen und atmete tief aus. Seit Springender Dachs ihm erklärt hatte, dass er vorhabe, Silberner Sperling und Aschenmond zu töten, fand Maishülse kaum noch Schlaf. Er musste die beiden unbedingt warnen, hatte aber noch keine Idee, wie er ihr Leben und auch das seine retten könnte. Dazu kam, dass der unberechenbare Kriegsführer ihn seither keinen Herzschlag lang aus den Augen ließ. Maishülse konnte nicht einmal mehr in den Wald gehen, um sich zu erleichtern, ohne dass er die Augen von Springender Dachs irgendwo in den Büschen glitzern sah. Der Mann befürchtete offenbar, dass Maishülse seine Pläne doch noch vereiteln könnte.
    Tatsächlich befand sich Maishülse in einem argen Zwiespalt. Bis vor ein paar Nächten hatte er sich noch damit gebrüstet, kein Gewissen zu haben. Er war ein praktisch veranlagter Mann, der sich mit dem vorherrschenden Wind zu drehen pflegte und sich nur selten, wenn überhaupt, moralische Urteile über Menschen oder deren seltsames Gebaren erlaubte. Und vor allem hatte er es sich zur Regel gemacht, sich niemals mit Kriegern oder Mördern einzulassen. Zugegeben, hin und wieder setzte er Gerüchte in Umlauf, um ein Gespräch zu beleben, aber

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