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Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken

Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken

Titel: Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
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schmutzige Hemd über den Kopf. Zaunkönig sah ihm dabei zu. Seine kurzen Arme reichten ihm nur bis zu den Hüften, und die Oberarme standen in einem merkwürdigen Bogen vom Körper ab. Dagegen schien sein Hals länger zu sein als bei normalen Menschen. Er reckte die Arme und zog das neue Hemd über. Die Schneckenhäuser schillerten in allen Farben. Nachdem er es mit den Händen am Körper glatt gestrichen hatte, schnüffelte er am Ärmel. »Der Stoff riecht nach Blumen«, sagte er verwundert.
    »Meine Großmutter lässt mich meine Sachen immer in Rosenblättern waschen«, erklärte sie. »Das hält die Wanzen ab, sagt sie.«
    Als Zaunkönig sah, dass ihm die Ärmel beinahe bis zu den Knien hingen, beugte sie sich vor und krempelte sie hoch.
    Polterer lächelte, dann verdüsterte sich plötzlich seine Miene. Er ließ die Arme fallen. »Du wirst sie nie wieder sehen, nicht wahr? Oder irgendjemand sonst von deiner Familie.«
    »Falls Springender Dachs uns erwischt, werde ich sie noch einmal sehen, aber nicht für lange. Ich nehme an, dass sie uns sehr schnell töten.«
    Polterer berührte vorsichtig die schimmernden Schneckenhäuser auf dem Hemd, während er deren Form und das perlmuttartige Material zu studieren schien. »Du hast alles aufgegeben, um meinetwillen. So ist es doch, Zaunkönig, nicht wahr?«
    »Ich habe immer noch mein Leben, Polterer. Und du das deine.« Sie nippte an ihrem Tee und konzentrierte sich auf den harzigen Geschmack. Sie wollte nicht, dass er sie weinen sah. Dann würde er sich nur schuldig fühlen, und er hatte schon genug unter ihrem Klan gelitten. »Meinst du, die Suppe ist schon heiß? Ich habe einen Bärenhunger.«
    Polterer beobachtete sie, als sie sich über den Suppenkessel beugte. Der Blick seiner Augen war nicht der eines Kindes, sondern der eines alten Mannes, der schon zu viel vom Leben gesehen hat. Ganz leise und mit sanfter Stimme sagte er: »Es tut mir Leid, Zaunkönig.«
    »Du hast nichts Unrechtes getan, Polterer. Also brauchst du dich auch für nichts zu entschuldigen.« Sie nahm den Hornlöffel und rührte damit die Suppe um. Sie war über Nacht eingedickt. »Das ist jetzt eher ein Brei geworden als eine Suppe, aber wenigstens ist er heiß.«
    »Ich mag Brei«, sagte Polterer und legte die Hände auf die Knie. »Meine Mutter und ich haben meistens Samen und Wurzeln gegessen.«
    »Habt ihr denn kein Fleisch gehabt in eurem Dorf?«
    »Doch, es gab Fleisch.«
    Zaunkönig musterte ihn skeptisch. »Und warum hattet ihr dann kein Fleisch zu essen?« Polterer lächelte wehmütig. »Das habe ich meine Mutter auch einmal gefragt. Wir aßen Maisschleimsuppe, und zufällig sah ich, dass meine Kusinen in der Nachbarhütte Rehstücke und Wildenten über ihrem Feuer brieten. Und da fiel mir ein, dass genau an diesem Morgen ein Mann meine Mutter mit einer Wildente und Wildstücken für ihre Hilfe bezahlt hatte. Mich überkam ein solches Gelüste auf dieses Fleisch, dass ich richtig wütend wurde. Deshalb sagte ich zu meiner Mutter: ›Die Leute bringen uns immer Fleisch als Bezahlung für deine Heilkünste. Warum können wir nie davon essen?‹« Er legte den Kopf schief, in liebevoller, aber auch schmerzlicher Erinnerung. »Und, was hat sie darauf geantwortet?«
    »Sie sagte: ›Willst du deiner Familie das Fleisch versagen, damit du es essen kannst?‹ Und ich erwiderte: ›Ich esse gern Fleisch, Mutter. Kann ich nicht hin und wieder ein Stück haben? ‹ Ohne ein weiteres Wort stand meine Mutter auf, nahm meine Schale mit dem Maisschleim und ging damit in die Hütte meiner Verwandten. Sie gab die Schale meiner jüngsten Kusine, Luchs, die damals drei Winter alt war. Dafür nahm sie ihr ihre Schale aus der Hand, in der gebratene Entenstücke dampften. Die Augen meiner Kusine füllten sich mit Tränen, aber sie sagte kein Wort. Sie tauchte einfach ihren Löffel in meinen Maisbrei. Meine Mutter kam zurück und händigte mir Luchs' Schale mit dem saftigen Entenfleisch aus, dann setzte sie sich wieder ans Feuer und begann ihre Maissuppe zu löffeln.
    Ich starrte die Ente an, dann meine kleine Kusine, ging hinüber zu ihr und gab ihr ihre Schüssel zurück. Luchs lächelte mich so glücklich an, dass ich weinen musste. Als ich ans Feuer meiner Mutter zurückkehrte, fragte sie mich: »Nun, was hat dich glücklicher gemacht? Eine Schüssel Entenfleisch zu essen? Oder sie einem anderen zu geben? ‹«
    Polterers Augen leuchteten. »Ich mag Brei.«
    Zaunkönig dachte über die Geschichte nach,

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