Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken
zog ihn sich über den Kopf und wartete dann mit großen Augen auf Anweisungen, entweder von Großmutter oder Großvater.
»Vergiss deinen Bogen und den Köcher nicht«, sagte Aschenmond zu ihm. Sie reichte ihm beides und ergriff dann ihren eigenen Bogen.
Polterer drückte die Waffen an seine Brust und flüsterte leise: »Zaunkönigs Bogen und Köcher.« »Oh… Das hätte ich mir denken können. Den Geistern sei Dank für Zaunkönigs Umsicht. Polterer, deine Teeschale ist noch halb voll. Trink sie lieber aus. Wer weiß, wann wir wieder etwas Warmes bekommen.«
»Ja, Großmutter«, nickte er und griff nach seiner Trinkschale.
Während der Junge seinen Tee austrank, wechselten Sperling und Aschenmond einen langen Blick. Er schlüpfte in seinen Büffelmantel und lächelte sie zuversichtlich an.
»Ich hoffe doch«, sagte sie, »dass du deinen Geisterhelfer um ein wenig Unterstützung gebeten hast, Sperling.«
»Ich habe die meinen um Hilfe gebeten«, antwortete Polterer an Sperlings Stelle: »Und sie versprachen, aus den Himmeln herunterzukommen.« Er stellte die leere Schale neben die Feuerstelle und huschte an Aschenmond vorbei zur Tür. Bevor er den Vorhang zur Seite schlug, setzte er hinzu: »Großvater hat seinen ebenfalls aufgefordert, uns zu helfen.« Damit duckte er sich und schlüpfte hinaus, um, wie sie hörten, sein Nachtwasser zu entleeren.
Aschenmond warf Sperling einen unbehaglichen Blick zu. Dieser zuckte mit den Schultern und meinte: »Ich weiß nicht, mit wem er spricht.«
»Hast du um Hilfe gebeten?«
»Selbstverständlich.«
Sperling nahm den Teekessel, und als er den Inhalt über der Glut ausgoss, stiegen zischende Rauchwolken auf.
Aschenmond griff nach ihrem Bündel, duckte sich nach draußen in den trüben Nachmittag und hielt für Sperling den Vorhang auf. Als Sperling Polterer im Kreise der Dorfbewohner entdeckte, die zehn Schritte von ihrer Hütte entfernt um ein Feuer herumstanden, flüsterte er Aschenmond zu: »Wenn sich die Gelegenheit ergibt, dann finde heraus, was er sonst noch weiß.«
»Du meinst, ob wir siegen werden?«
»Nein, Aschenmond. Ob wir überleben werden oder nicht.«
Maishülse schob einen herabhängenden Fichtenzweig zur Seite und spähte angestrengt zwischen den Bäumen umher. Der Nebel war so dicht, dass er keine fünf Schritte weit sehen konnte Blutahorn- und Zuckerahornbäume säumten den Pfad, und von ihren kahlen Ästen, die sich in der Höhe trafen, regneten unablässig Tautropfen auf ihn nieder. Sein räudiger Mantel klebte ihm am Leib wie ein frisch abgeschabtes Stück Büffelhaut.
Mit seiner Stimmung stand es nicht zum Besten. Sie konnten nicht mehr als eine gute Hand Zeit vom Nebelschleierdorf entfernt sein, und nicht einmal er, der diesen Pfad schon hundertmal gegangen war, hätte sagen können, wo genau sie sich befanden.
Der harzige Duft nach Fichtennadeln stieg ihm in die Nase, als er in den Wald hineinlauschte. Kein Windhauch regte sich. Kein Vogel zwitscherte.
Seine reiche Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass ein Mann nicht vorsichtig genug sein konnte, wenn er sich einem Dorf näherte, das erst kürzlich überfallen worden war. Die Bewohner reagierten dann oft mehr als übereifrig, wenn es um ihre Sicherheit ging. Maishülse konnte ein Lied davon singen. Vor drei Wintern hatte er gehört, dass Springender Dachs das Große Felsendorf überfallen und die Vorratshütten geplündert hatte. Und da bekannt war, dass hungernde Völker oft ihre wertvollsten Güter gegen Lebensmittel eintauschten, um ihre Kinder zu füttern, hatte Maishülse Packen mit Mais, Holunderbeeren, Sonnenblumenkernen, Bohnen, Kürbis und anderen Ackerfrüchten geschnürt und sich damit auf den Weg dorthin gemacht. Unbekümmert und mit einem freundlichen Lächeln im Gesicht war er ins Große Felsendorf marschiert. Doch noch ehe er einen Fuß auf den Dorfplatz hatte setzen können, fand er sich von Dutzenden Bogenschwingender Krieger umringt - viele von ihnen noch zu jung, um über die nachteiligen Folgen Bescheid zu wissen, die ein Dorf trafen, das einen Händler tötete.
Kurz darauf sollte er erfahren, dass der Große Felsen-Klan davon überzeugt war, dass ein Händler sie an ihre Feinde verraten hatte, um anschließend aus ihrer Notlage Profit zu schlagen. Maishülse traf an diesem Unglück zwar keinerlei Schuld, doch es vergingen etliche sehr unangenehme Tage, während derer er zusehen musste, wie sich das gesamte Dorf an seinen Gütern schadlos hielt, bis es ihm gelungen
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