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VT01 - Eine Wunde in der Erde

VT01 - Eine Wunde in der Erde

Titel: VT01 - Eine Wunde in der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael M. Thurner
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krächzten, schwiegen und zogen den Kopf zwischen die Schultern. Das gehässige Zischen der Erdnattern war ebenso verstummt wie das Grunzen brünftiger Sozoloten-Eber. Die Frakken hatten ihr Zirpen vergessen, und die Maelwoorms wühlten sich in seltsamer Lautlosigkeit durch die dampfende Erde.
    Erste Tropfen platschten zu Boden, erzeugten eine dumpfe Melodie. Dann kam ein Windhauch, wurde jäh zu einer Böe, ebbte gleich darauf wieder ab.
    Thotto bearbeitete die letzte Reihe Maas-Pflanzen. Zhulu hatte längst die Reitpeitsche zur Hilfe genommen, um das Tier zu weiteren Höchstleistungen anzuspornen.
    »Bewegt eure Hintern!«, rief Kinga. Er scheuchte die Erntehelfer nun vor sich her. Frauen ächzten bei der Pflückarbeit, Männer stöhnten unter dem Gewicht der immer schwerer werdenden Karren, Halbwüchsige weinten.
    Das Geräusch der vereinzelt auf den Boden fallenden Tropfen wurde lauter, intensiver, steigerte sich zu einem hässlichen Stakkato. Auch der Wind nahm wieder zu, wehte die Regenfronten vor sich her, änderte stetig seine Richtung.
    Etwas Festes traf Kinga am Hinterkopf. Ein Hagelbrocken, so groß wie ein Fingerglied.
    »Fertig!«, brüllte Zhulu von irgendwoher, kaum mehr in der grauen Masse des Regens erkennbar. »Bewegt euch, ihr faulen Wakudas, und sammelt den Rest der Früchte ein!«
    Ein mächtiger Schatten wuchs neben Kinga hoch, wurde zu Thotto, dem Viertwoorm.
    »Abtauchen lassen!«, befahl der Quarting und stach seinem Tierpartner kräftig mit beiden Hacken ins Fleisch. Der Maelwoorm gehorchte nur allzu willig. Seine Seitenpaddel wühlten die Erde auf, schufen in Blitzeseile ein Loch, das so groß war, dass vier Mann bequem nebeneinander hineinkriechen konnten. Thotto schaufelte, die Erde wie besessen zur Seite, bedeckte seinen Herrn und Kinga mit klebriger Erdmasse.
    Kurz bevor das Tier abtauchte, sprang Zhulu mit angespannten Muskeln zur Seite. Er geriet an den Rand des immer größer und breiter werdenden Bodentrichters und rutschte ab. Auf allen Vieren kletterte er den Rand empor, kehrte schließlich über losgerissenes Wurzelwerk an die Oberfläche zurück.
    Xhusa folgte nun ebenfalls seinem Instinkt. Er schob sich dem Viertwoorm in die Dunkelheit des frisch geschaufelten Erdlochs hinterher. Kinga kappte die Zügel, ließ den Stehsattel mit einem Gedanken des Bedauerns auf dem Tier hängen. Das hölzerne Gestell war wohl nicht mehr zu retten. Mit aller Kraft stieß er sich vom Tier ab. Sein jugendlicher Elan ließ ihn in ausreichender Entfernung zum Woorm-Trichter aufkommen. Er reichte Zhulu seine Hand und zog ihn mit einem kräftigen Ruck endgültig aus dem unmittelbaren Gefahrenbereich.
    »Wo sind die anderen?«, brüllte der Quarting gegen den Sturm an. »Sie müssen die Ernte in Sicherheit bringen.«
    Es ist zu spät , wollte Kinga sagen. Sie hatten zu hoch gespielt und schlussendlich verloren. Nur die wenigsten Maas-Früchte würden den unglaublichen Sturm unbeschadet überstehen. Und was mit ihnen selbst in dieser beginnenden Apokalypse geschah, wussten nur die Götter. Harte Körner trommelten auf sie herab, in solchen Mengen, dass der Boden bald von einer weißen Schicht überzogen war.
    Ein hohes Sirren übertönte den Krach der Graupelkörner. Es war das Kreischen eines Maelwoorms. Jeder von ihnen besaß eine eigene, charakteristische Stimmlage. Und diese hier gehörte dem Tier seines Freundes…
    »Nabuu!«, rief Kinga erleichtert aus. »Hier sind wir!«
    Ein breites Schemen glitt durch das Einheitsgrau, das sich übers Land gelegt hatte. Kinga und Zhulu schrien, was die Lungen hergaben. Endlich änderte der Drittwoorm Nabuus seine Richtung und steuerte auf sie zu.
    »Nehmt!«, rief der Freund und warf ihnen beiden eine fest geölte Fellplane zu. »Verkriecht euch darunter!« Über seinen Kopf war eine Art breiter Schirm gespannt, der den Großteil der Hagelkörner vom Körper fernhielt. Hinter ihm waren weitere Planen und Abdeckungen aufgetürmt. »Wo sind die Arbeiter?«
    Kinga deutete in die ungefähre Richtung, wo er die Erntehelfer mitsamt ihrer Maas-Körbe vermutete, während er das schwere Tuch über Zhulus und seinen Körper legte.
    Nabuu eilte weiter, wurde wiederum zu einem Schatten in der unheimlichen Dunkelheit des Tages. Stimmen wehten zu ihnen herüber, wurden aber immer wieder von zornigen Windböen zerhackt. Es schien Kinga, als hätte sich sein ganzes Leben auf eine winzige Fläche voll Matsch reduziert, in der Zhulu und er mittlerweile knietief versunken waren.

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