Wachtmeister Studer
ein Bogen blaues Papier, wie man es zum Einwickeln von Zuckerhüten braucht. Ich hab' den Stoß herausgenommen, während die Frau in den Laden gegangen ist und hab' ihn durchgeblättert. Es war nichts zu finden. Warum?«
»Weil ich die da«, Studer klopfte auf seine hintere Hosentasche, »unter dem blauen Packpapier gefunden hab'…«
»A bah…«, sagte Murmann, holte seinen Tabaksbeutel hervor und stopfte seine Pfeife. »A bah…«, sagte er noch einmal.
»Und in der Küche sind seither gewesen: Sonja, der Lehrer Schwomm, der Coiffeur Gerber – aber auf alle Fälle nicht der Schlumpf. Ja, und jetzt will ich in den ›Bären‹.«
»Paß dann auf, um elf Uhr«, sagte Murmann und stieß Wolken aus seiner Pfeife. »Der Aeschbacher hockt sicher bei seinem Jaß…«
Der Daumenabdruck
Die Nacht war kühl. Studer fröstelte während der kurzen Strecke vom Posten zum ›Bären‹. Er beschloß, noch einen Grog zu trinken, der Schnupfen meldete sich wieder mit Druck im Kopf und einem unangenehmen Jucken im Hals. Aber der Wachtmeister wollte nicht in der Gaststube sitzen. Er fragte den Wirt, der in der Haustüre stand, ob nicht ein Nebenzimmer da sei. Der Wirt nickte.
Der Raum lag neben der Gaststube, die Verbindungstüre stand offen. Drüben war es ziemlich laut, ein Summen von vielen Stimmen, darüber wogten Melodiefetzen, die der Lautsprecher spuckte (Gut, ist er eingeschaltet, dachte Studer); dann sagte eine Stimme: »Fünfzig vom Trumpfaß mit Stöck und Dreiblatt vom Nell…« Bewundernde Ausrufe wurden laut. Dann sagte die gleiche Stimme: »Und Matsch…«
Der Tonfall dieser Stimme erinnerte Studer an irgend etwas. Er kam aber erst darauf, als der Ansager sich im Radio meldete: »Sie hören nun zum Schluß unseres Unterhaltungskonzertes…« Ja, der Ansager sprach hochdeutsch, aber sein Tonfall, seine Art zu sprechen, glich der Stimme, die den unerhörten ›Wiis‹ proklamiert hatte…
Die Wirtin brachte den Grog, sie setzte sich zu Studer, fragte, wie es gehe, ob die Untersuchung Fortschritte mache, nach ihrer Meinung sei natürlich der Schlumpf der Verbrecher. …Aber da seien eben noch andere daran schuld, daß solche Verbrechen in einem stillen Dorf, wie Gerzenstein passieren könnten…
Es war gespenstisch. Die Wirtin redete und Studer hatte den Eindruck, das Gritli Wenger jodeln zu hören. Und als der Wirt auch noch dazu kam (viel jünger schien er als seine Frau, er hatte O-Beine und war, wie sich später herausstellte, Dragonerwachtmeister), ja, als der Wirt zu sprechen begann, hatte er wahr und wahrhaftig die Stimme des Konditorkomikers Hegetschweiler.
Wo hatten die Leute ihre Stimmen gelassen? Waren sie vom Radio vergiftet worden? Hatten die Gerzensteiner Lautsprecher eine neue Epidemie verursacht? Stimmenwechsel?
Da, da war es wieder…
Draußen beklagte sich einer, er habe nichts mehr zu trinken, und er sprach diese einfachen Worte in so singendem Tonfall, daß Studer meinte, den Schlager zu hören: ›Ich hab' kein Auto, ich hab' kein Rittergut…‹
Der Wachtmeister trat vorsichtig an die Verbindungstür, er hielt sich ein wenig hinter dem Pfosten versteckt und übersah den Raum.
Am Tisch, an dem er zu Mittag gegessen hatte, saßen vier Männer. Am auffälligsten war einer, der sich in die Ecke gedrückt hatte. Es war ein schwerer, dicker Mann. Ein grauer Katerschnurrbart starrte stachelig über seiner Oberlippe, das Gesicht war rot und lief nach oben spitz zu, das Kinn war in Fettfalten eingebettet. Der Kopf glühte, in die Stirne fiel eine einsame, braune Locke.
Wer der Mann dort sei, fragte Studer leise die Wirtin.
Der mit dem spitzen Gring? Das sei der Aeschbacher, der Gemeindepräsident. Studer lächelte, er mußte an den alten Ellenberger denken und an seine kurze, aber treffende Charakterisierung: eine Sau, die den Rotlauf hat… Es stimmte aber doch nicht ganz, dachte Studer bei sich. Der Aeschbacher hatte merkwürdige Augen, sehr, sehr merkwürdige Augen. Verschlagen, gescheit… Nein, ein zweitägiges Kalb war
der
nicht!
Der Gemeindepräsident hatte als Spielpartner einen Mann, der statt eines Kopfes einen hellgelben, riesigen Badeschwamm zu tragen schien. Studer sah den Mann nur von hinten, jetzt hörte er aber auch dessen Stimme,
»Ich muß leider, leider schieben…«
Es war die Stimme, die sich vorher beklagt hatte, es sei nichts mehr zum Trinken da, die Stimme, die wie die eines Coupletsängers klang.
»Und wer spielt mit dem Gemeindepräsidenten?« fragte
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