Wachtmeister Studer
Wachtmeister. Studer fühlte sich unbehaglich, am liebsten hätte er jetzt seinen Grog getrunken, der wurde sicher kalt… Aber er wollte noch das Ende der Pantomime betrachten.
Aber es geschah nichts mehr.
»Aeschbacher, du machst Trumpf«, sagte der Mann, der einen Schwamm statt eines Kopfes zu tragen schien, der Mann, dem ein Couplet im Halse sang, der Lehrer Schwomm…
»Ja, ja«, sagte der Präsident ärgerlich. Aeschbacher winkte Armin, er könne nun gehen. Mit einem einzigen Griff breitete er das Kartenpäckli fächerförmig auseinander: »Geschoben!« schnauzte er. Und zur Saaltochter:
»Berti, mach' Tür zu, es zieht…«
Studer kehrte zu seinem Grog zurück. Die Verbindungstür fiel zu.
Im kleinen Zimmer zog sich Studer aus. Dann trat er, im Pyjama, ans offene Fenster und blickte über das stille Land. Der Mond war sehr weiß, manchmal zogen Wolken vor ihm vorbei, das Roggenfeld war merkwürdig bläulich…
Und der Wachtmeister erinnerte sich an einen guten Bekannten, mit dem er einmal in Paris zusammengearbeitet hatte. Madelin hieß er und war Divisionskommissär bei der Police judiciaire gewesen. Ein magerer, gemütlicher Mann, der unglaubliche Mengen Weißwein vertilgen konnte, ohne betrunken zu werden. Als Extrakt seiner zwanzigjährigen Diensterfahrung hatte er Studer einmal folgendes gesagt:
»Studer (er sagte ›Stüdère‹), glaub mir: Lieber zehn Mordfälle in der Stadt als einer auf dem Land. Auf dem Land, in einem Dorf, da hängen die Leute wie die Kletten aneinander, jeder hat etwas zu verbergen… Du erfährst nichts, gar nichts. Während in der Stadt… Mein Gott, ja, es ist gefährlicher, aber du kennst die Burschen gleich, sie schwatzen, sie verschwatzen sich… Aber auf dem Land!… Gott behüte uns vor Mordfällen auf dem Land…«
Studer seufzte. Der Kommissär Madelin hatte recht.
Und dunkel bohrte in ihm noch der Vorwurf, daß er es unterlassen hatte, den Browning mit der nötigen Vorsicht zu behandeln. Vielleicht hätte man doch Fingerabdrücke darauf feststellen können? Aber was hätte das genützt? Er konnte doch nicht den Lehrer Schwomm oder gar den Gemeindepräsidenten Aeschbacher mit einem Tintenkissen und Formularen besuchen und sie freundlichst bitten, doch die Güte zu haben und ihre werten Fingerspitzen auf diesen amtlichen Papieren zu verewigen… Gewiß, es gab ja andere Methoden, sich Fingerabdrücke zu verschaffen: Zigarettendosen aber Studer rauchte keine Zigaretten, und dann waren diese Methoden alle so kompliziert. In Büchern machten sie sich gut, in Spionagebureaux schien man manchmal Erfolg mit ihnen zu haben… aber in der Wirklichkeit?… Studer nieste und ging ins Bett…
– Er saß in einem riesigen Hörsaal, eingezwängt in eine schmale Bank. Der Deckel des Pultes vor ihm drückte ihn schmerzhaft auf den Magen, er konnte die Beine nicht strecken. Die Luft im Raum war stickig, er konnte nicht recht atmen. Vor einer schwarzen Wandtafel ging ein Mann in weißem Mantel rastlos auf und ab. Er sprach. Und auf die Wandtafel war mit Kreide ein riesiger Daumenabdruck gezeichnet. Die Linien darin bildeten verrückte Muster, Schleifen, Spiralen, Berge, Täler, Wellen. Gerade Striche waren von den einzelnen Linien aus gezogen, ragten über den Abdruck hinaus und trugen an ihrem Ende Nummern. Und der Mann, der vor der Tafel hin und her lief, zeigte auf die Nummern und dozierte. »Von der Wiege bis zum Grabe bleiben die Kapillaren identisch, merken Sie sich das, meine Herren, und wenn zwölf Punkte übereinstimmen, so haben Sie den mathematischen Beweis. Dies ist der Daumen, meine Herren, der Daumenabdruck eines Mannes, der durch die Unachtsamkeit eines Beamten verlorengegangen ist und den ich nach meiner neuen Methode des fernen Wellensehens zur restitutio ad integrum gebracht habe. Der Schuldige sitzt zwischen Ihnen, ich will ihn nicht nennen, denn er ist gestraft genug. Er wird in Pension gehen müssen und in seinem Lebensalter verhungern, denn er hat pflichtvergessen gehandelt. Denn dieser Daumen, meine Herren und Damen…« In der ersten Bankreihe saß Sonja Witschi, sie trug ein weißes Kleid und blickte mit Verachtung auf Studer. Das schmerzte Studer sehr. Am meisten aber tat ihm weh, daß der Gemeindepräsident Aeschbacher neben Sonja saß und seinen Arm um die Schultern des Mädchens gelegt hatte. Studer wollte sich unter der Bank verstecken, er fühlte, daß die Blicke aller Zuhörer auf ihn gerichtet waren, er konnte nicht, die Bank war zu eng… Da
Weitere Kostenlose Bücher