Wachtmeister Studer
merken, daß sie nicht zu den kommunen Leuten gehöre, die alle Welt ihren.) »Treten Sie ein, wir wollen nicht vor der Tür stehenbleiben.«
Die Küche war sauber. Kein schmutziges Geschirr stand mehr im Schüttstein. Der Strähl war verschwunden. Auch das Wohnzimmer war aufgeräumt.
Die Vase unter Wendelin Witschis Bild fehlte.
»Nehmen Sie Platz, Herr Studer. Ich hol' etwas zum Trinken. Sie werden sicher Durst haben.«
Und Frau Witschi kam zurück mit einer Flasche Himbeersirup und zwei Gläsern. Studer mußte wohl oder übel mittrinken. Es schüttelte ihn gelinde.
»Mein armer Mann«, sagte Frau Witschi und zog die Luft durch die Nase. Sie wischte sich die Augen mit ihrem Taschentuch. Aber die Augen waren trocken und blieben es.
»Ja, ja«, meinte Studer und hielt die Hand über sein Glas, das Frau Witschi wieder mit der klebrigen Flüssigkeit füllen wollte. »Es ist traurig, daß er so hat ums Leben kommen müssen. Aber es war vielleicht doch ein Glück…«
»Ein Glück? Wieso ein Glück? Was meinen Sie?«
»Eh, wegen der Versicherung…« sagte Studer und zündete umständlich eine Brissago an. Eine Sturzflut von Worten ergoß sich über ihn. Und Studer ließ sie brausen…
Es war merkwürdig, fast wie eine Vision.
– Das Zimmer ist dunkel, ganz plötzlich. Die Lampe, von einem grünen Schirm verhangen, gibt ein düsteres Licht. Leere Teller stehen auf dem Tisch. Am oberen Ende sitzt der verstorbene Wendelin Witschi. Rechts neben ihm seine Frau, links Sonja, ihm gegenüber der Sohn.
Witschi schweigt, Müdigkeitsfalten liegen um seinen Mund, auf seiner Stirn. Ununterbrochen schwatzt die Frau. Sie klagt. Er sei schuld, nur er allein. Er habe die Familie in Schulden gestürzt, nun sei es an ihm, das gestrandete Schiff wieder flott zu machen. Geld habe er aufgenommen, ohne jemanden zu fragen – und die Kreugeraktien, die habe doch er gekauft, oder? Witschi hebt die Hand, die weiße, dürre Hand, so, als wolle er Einspruch erheben. Aber die Frau lafert weiter. Nichts da, er habe zu schweigen, ganz zu schweigen. Und dann flüstert sie plötzlich: Die Versicherungen brächten Geld… Ein Unfall… Nichts Arges. Aber er müsse so ausgeführt werden, daß er wie ein Überfall aussehe… Es seien ja genug Vorbestrafte im Dorf, auf die man die Schuld schieben könne…
Der Sohn mischt sich ein. Die Schwester habe ja ein Geschleipf mit so einem, sie müsse die Sache übernehmen. Den Burschen zu einem Rendezvous bestellen, damit er kein Alibi beibringen könne… Dann könne man ihn anklagen, und wenn der Vater ihn wiedererkenne, dann könne der Bursche gar nichts machen…
Oben am Tisch hat der Witschi die Hände gefaltet, er schüttelt den Kopf, unaufhörlich, aber kein Mensch sieht auf ihn. Der Redestrom geht weiter. Der Sohn löst die Mutter ab, die Mutter den Sohn. Sonja sitzt still da, weint in ihr Taschentuch. Es nützt nichts, Sonja findet nirgends Schutz vor den Plänen der beiden andern…
Wie oft hatte sich die Szene abgespielt, so wie Studer sie sah und hörte, jetzt, im Wohnzimmer der Familie Witschi, während die alte Anastasia auf ihn einredete und ihre Worte an seinen Ohren vorbeisausten wie ein saurer Biswind?
Studer nickte, nickte ununterbrochen zu den Worten der Frau. Es war ja alles gelogen, warum also zuhören?…
Er sah den Schuppen vor sich, ganz deutlich.
Die Frau hat eine Stallaterne in der Hand. Und Witschi probiert den Revolver aus. Er schießt auf das weißgehobelte Rechteck der Tür, immer aus einer Entfernung von zehn Zentimeter. Nicht mehr, nicht weniger. Er probiert es mit einem Zigarettenblättchen, dann mit dreien, dann mit fünfen. Bei welcher Zahl gibt es keine Deflagrationsspuren mehr?
Fünfzehn Patronen, dachte Studer… Wo war wohl die Schachtel? Man sollte sie finden. Und immer das Bild, das sich dazwischenschob:
Der Witschi, der beim Schein der Stallaterne Schießübungen veranstaltet… Die Frau hält sicher einen Sack, um den Schall abzudämpfen.
War es sonst möglich, daß keiner der Nachbarn etwas gehört hatte?… Vielleicht hatten sie etwas gehört, das nächste Haus stand in etwa fünfzig Meter Entfernung… Sollte man dort fragen gehen?
Und wie aus einem Traum heraus, mitten in den Redestrom der Frau Witschi, sagte Studer mit leiser Stimme:
»Wie Ihr Mann auf die Tür im Schuppen geschossen hat, haben Sie da einen Sack gehabt, um den Schall abzudämpfen?«
Das Glas zerschellte auf dem Boden. Frau Witschi hatte die Augen weit aufgerissen, das
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