Wäre ich du, würde ich mich lieben (German Edition)
«Alles klar, vergiss aber deinen Reisepass nicht!»
Dann schlägt der Klöppel wieder zu.
Unbestimmte Zeit später sitze ich mit meinem grippalen Infekt im Wartezimmer. Um mich herum nur Menschen, die sich offensichtlich mindestens genauso elend fühlen wie ich. Niemand sagt etwas, und doch hört man im Raum so eine Art Summen. Als würden sich all unsere Viren angeregt miteinander unterhalten:
– Und wie geht’s dir so?
– Ach, ich kann nicht klagen. Seit ich beim Evers untergekommen bin, ist alles geschmeidig. Ich kleistere ihn mit Schleim zu, verpasse ihm Fieberphantasien und lasse ihn nachts nicht schlafen. Das Übliche eben. Routinejob.
– Ja, muss ja, ne. Ich mach hier auch nichts groß anderes.
– Genau, das übliche Tagesgeschäft. Wenn du willst, komm doch mal vorbei. Für so einen kernigen Nebenvirus ist hier beim Evers immer Open House.
– Gern, klingt nett.
– Ja, kannst ruhig eine Weile bleiben. Hier lässt sich’s leben.
– Neenee, ich bleib ja nie lange. Wenn du einen Virus mit richtig Sitzfleisch suchst, dahinten ist ein Influenza A/H 3 N 2 . Der Buddha unter den Grippeviren. Wenn der erst mal irgendwo sitzt, dann sitzt er. Den kriegste so schnell nicht wieder weg. Es gibt Kollegen, die behaupten, so ganz geht der überhaupt nie wieder …
Fühle mich unwohl. Versuche Sudokus zu lösen. Die Zahlen verschwimmen mir vor den Augen. Meine Nachbarin meint: «Ich habe die Zeitschrift zu Hause. Das Sudoku habe ich schon gemacht. Die Lösungszahlen sind null, eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht und neun.» Bedanke mich und setze mich um. Ihren grippalen Infekt möchte ich mir nun wirklich nicht einfangen.
Sollte zur Ablenkung etwas weniger Anstrengendes als Sudokus machen. Vielleicht atmen. Ein-aus-ein-aus-ein-ein-ein … Mist, diese Atmerei ist irgendwie auch zu anspruchsvoll. Der riesige Klöppel schlägt wieder gegen die imaginäre Klangschale auf meinem Kopf. Endlich. Falle erneut in Trance. Als das Vibrieren nachlässt, sitze ich schon im Behandlungsraum. Die Ärztin schaut nachdenklich. Redet mit mir. Wie lange wohl schon?
«Also, ich verschreib Ihnen dann erst mal was gegen die Kopfschmerzen.»
«Na ja, richtige Kopfschmerzen habe ich eigentlich gar nicht. Es ist mehr so eine Kopftaubheit.»
«Glauben Sie mir, Sie werden auch noch erhebliche Kopfschmerzen bekommen. Ganz erhebliche.»
«Hm. Können Sie mir schon sagen, was ich habe?»
Ihr Blick wird noch ernster. Sie grübelt, tippt einiges in ihren Computer.
«Noch nicht. Aber machen Sie sich keine Sorgen. Wenn Sie sich einfach ein wenig ruhig verhalten, wird Ihnen nichts passieren. Ich hole Ihnen mal einen Grippetest aus dem Labor.»
Sie verschwindet durch die Tür. Ich stürze zu ihrem Schreibtisch, um auf dem Monitor zu lesen, was sie gerade so nachdenklich besorgt geschrieben hat. Donnere mit voller Wucht mit dem Kopf gegen die tiefhängende Schreibtischbeleuchtung. «Au!!!» Schiebe meinen dröhnenden Schädel nun vorsichtig Richtung Computer und lese: «Sehen Sie, ich habe doch gesagt, Sie sollen sich ruhig verhalten. Das Rezept gegen Kopfschmerzen liegt vorne.»
Die lustige Ärztin kommt zurück. «Na bravo, durch Sie habe ich gerade eine Wette gegen Frau Kalkow, meine Sprechstundenhilfe, die mit Ihnen telefoniert hat, verloren. Immerhin bekomme ich so aber am schnellsten heraus, ob ein Patient gewillt ist, ärztlichen Anweisungen Folge zu leisten oder eben nicht. Frau Kalkow meinte, der Tiefe-Lampen-Test wäre bei Ihnen das Sinnvollste, um zügig ein Problembewusstsein zu schaffen.»
Reibe meinen Kopf. Die Sprechstundenhilfe hat tatsächlich über mich nachgedacht, sie muss mich wirklich sehr mögen. Lächle, bemerke dann erschrocken, dass die Ärztin offensichtlich die ganze Zeit weitergeredet hat.
«… Haben Sie das verstanden?»
«Äääh, ja, natürlich.»
«Schön, wenn Sie sich wirklich mal ein paar Tage richtig ruhig verhalten und Brühe schlürfen, geht das ganz von allein wieder weg. Sonst nehmen Sie halt Medikamente. Rezept liegt vorne, aber wenn Sie die Mittel nehmen, bitte unbedingt genau so, wie ich es Ihnen gerade erklärt habe.»
Ich nicke.
«Doch grundsätzlich wäre es sehr viel besser, wenn Sie sich und Ihrem Körper ein paar Tage völlige Ruhe gönnen würden. Warum sehen Sie diese Krankheit nicht einfach mal als Geschenk?»
Ja, warum eigentlich nicht? Immerhin gelingt es meinem Geschenk auch drei Tage später noch, mich stets aufs Neue zu überraschen. Vergleichbar
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