Wäre ich du, würde ich mich lieben (German Edition)
verlaufen, einfach über das Handy ziehen kann. So einen Sack könnte man natürlich auch für normale, also Auge-in-Auge-Gespräche entwerfen. Den «Ich-hör-gar-nicht-mehr-zu-Sack», den man sich, wenn das Gespräch aus dem Ruder läuft, einfach über den Kopf ziehen kann. So als stille Botschaft an den Gesprächspartner. Obgleich es schon gewöhnungsbedürftig wäre, wenn man dann überall in der Stadt Leute mit solchen «Ich-hör-gar-nicht-mehr-zu-Säcken» auf dem Kopf sähe. Vermutlich wären solche Säcke bei vielen Gesprächen sogar eine eloquentere Reaktion, als still in Kommunikationsduldungsstarre zu verharren. Trotzdem würden sie aber auch garantiert wieder zu endlosen Diskussionen führen.
Getauschte Tage
Freitagnachmittag. Habe mich mit Mara im Blumencafé im Prenzlauer Berg verabredet. Sie sitzt allerdings in einem Café in Barcelona, wo sie für zwei Jahre lebt und arbeitet. Wir werden uns gegenseitig Mails schreiben. Das hätten wir natürlich auch von zu Hause aus gekonnt, aber Mara findet das doof. Sie besteht darauf, dass man auch für Mailverabredungen die eigenen vier Wände verlässt. In ein schönes Café geht. Dadurch bekommt die Verabredung etwas Würdigeres, sie gewinnt an Wertigkeit. Sagt Mara. Daher sitzt sie in einem schönen WLAN -Café in Barcelona, und für mich sucht sie immer Orte in Berlin aus, die ihr fehlen, wo ich dann hinfahren muss, um mit ihr zu mailen. Natürlich könnten wir auch noch viel schneller, moderner und komfortabler per Skype, Facebook, WhatsApp oder Ähnlichem chatten. Aber wir sind altmodisch. Wir unterhalten uns noch per Mail. Die ganz alte Schule. So, wie man es eben immer schon gemacht hat. Das ist so eine Art Internetnostalgie.
Leider misstraut mir Mara ein wenig. Also hinsichtlich der Frage, ob ich auch wirklich in den Cafés sitze, in die sie mich bestellt hat, oder es einfach nur behaupte. Es hat da wohl schon Fälle gegeben, wo ich mich offensichtlich vertan habe, also Mara, weil es ihr nun mal wichtig ist, gesagt habe, ich säße im gewünschten Café, aber tatsächlich versehentlich zu Hause in der Küche hockte. Im Prinzip nur eine harmlose Verwechslung der Räume meinerseits. Kann ja schnell mal passieren.
Wer hat nicht schon stundenlang im Café gesessen und auf einen Freund gewartet, um dann plötzlich und überraschend von ebendiesem mittlerweile wütenden Freund am Telefon zu erfahren, dass man selbst ja gar nicht, wie angenommen, die ganze Zeit im Café sitzt, sondern versehentlich noch im Bett liegt und schläft. So eine eigentlich harmlose Verwechslung der Räume kann einem unglaublichen Ärger bescheren.
Seinerzeit hat Mara wohl ein paar Stunden nach unserer Verabredung noch mal wegen irgendwas auf dem Festnetz angerufen und dann tragischerweise von anderen Bewohnern erfahren, dass ich die Wohnung den ganzen Tag noch nicht verlassen hatte. Als ich kurz darauf hiervon erfuhr, also von der Tatsache, dass ich den ganzen Tag die Wohnung noch nicht verlassen hatte, war ich natürlich auch bestürzt, was Maras Verärgerung aber nicht verringerte.
Seitdem muss ich ihr per Handy Fotos schicken, mit denen ich den Weg von meiner Wohnung bis zum Café dokumentiere. Mit aktueller Zeitung und öffentlichen Uhren. Zusätzlich muss ich vom Café aus anrufen, und mit der Bedienung will Mara meistens auch noch sprechen, um ganz auf Nummer sicher zu gehen. Wahrscheinlich wäre es mittlerweile einfacher und womöglich auch günstiger, mal eben schnell nach Barcelona zu fliegen, um sich mit ihr zu treffen.
Mara schreibt mir aus einem Café in Barcelona, in dem die Leute ihren Tag tauschen können. Man geht in dieses Café und notiert auf einem Zettel, was man an diesem, am nächsten oder irgendeinem nicht fernen Tag zu tun hat, beispielsweise mit dem Hund Gassi gehen, Bücher in die Bibliothek zurückbringen, Einkäufe erledigen, Post- oder Ämtergänge, so Sachen. Diesen Zettel hängt man dort an eine Pinnwand und liest sich dann die Zettel mit den Tagesabläufen der anderen Gäste durch. Und wenn man einen interessanten Tag findet, dann kann man sich mit dem anderen verständigen. Einfach den Tag tauschen, also die Sachen des anderen abarbeiten, und der erledigt dann für einen selbst die eigenen Sachen. Diese Tagtauschbörse laufe super, das Café sei ständig voll, schreibt Mara.
Klar, die Pflichten oder Aufgaben von anderen erscheinen einem ja häufig viel einfacher als die eigenen. Eigentlich sehr sinnvoll, schlicht mal zu tauschen. So profitieren
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