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Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Titel: Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Ohnmacht.
    Auf dem ganzen Weg ins Seniorenzentrum hole ich tief Luft. Mein Vater steht an der Tür des Mehrzweckraums und sieht beim Yogakurs zu. »He«, flüstert er, um die Frauen nicht beim Sonnengruß zu stören. »Was machst du denn hier?«
    Ich hole seine Brieftasche hervor. »Ich dachte, die brauchst du vielleicht.«
    »Da ist sie ja«, sagte er. »Ich hab gehofft, daß sie irgendwann wieder auftaucht«, sagt er. »Wie alles. Hast du Zeit für einen Kaffee?«
    »Eigentlich nicht«, sage ich, folge ihm aber trotzdem in die kleine Küche und lasse mir eine Tasse einschenken, dann gehen wir in sein Büro. Als ich klein war, hat er mich oft mit hierher genommen und mich, während er telefonierte, mit kleinen Kunststücken mit Papierklemmen und Taschentüchern unterhalten. Ich nehme einen Briefbeschwerer von seinem Schreibtisch. Es ist ein Stein, der wie ein Marienkäfer bemalt ist, ein Geschenk, das ich für ihn gemacht habe, als ich etwa in Sophies Alter war. »Den könntest du ruhig langsam mal wegwerfen.«
    »Aber ich liebe ihn.« Er nimmt ihn mir aus der Hand und stellt ihn wieder mitten auf den Schreibtisch.
    »Dad?« sage ich. »Haben wir mal zusammen einen Zitronenbaum gepflanzt?«
    »Einen was ?« Bevor ich die Frage wiederholen kann, blickt er mich aus zusammengekniffenen Augen an, legt dann die Stirn in Falten und winkt mich heran. »Du hast da was. Da steht was ab ... nein, tiefer ... laß mich mal.« Ich beuge mich vor, und er legt die Hand in meinen Nacken. » Die wunderbare Cordelia «, sagt er, genau wie damals, wenn wir unsere Zaubernummer vorführten. Dann zieht er hinter meinem Ohr eine Perlenkette hervor.
    »Die hat mal ihr gehört«, sagt mein Vater und führt mich zu dem Spiegel, der an seiner Bürotür hängt. Ich habe eine undeutliche Erinnerung an das Hochzeitsfoto von gestern abend. Er steht hinter mir und macht den Verschluß zu, so daß wir beide in den Spiegel blicken und jemanden sehen, der nicht da ist.
    Die Redaktionsräume der New Hampshire Gazette sind in Manchester, aber Fitz arbeitet meist von zu Hause aus. Er hat sich in seiner Wohnung in Wexton über einem Pizzaladen ein Büro eingerichtet, und der Geruch von Marinarasauce dringt nach oben durch die Lüftungsrohre. Gretas Krallen klicken auf den Linoleumstufen, und sie hockt sich vor der lebensgroßen Chewbacca-Pappfigur neben der Wohnungstür hin.
    Der Schlüssel hängt auf der Rückseite. Ich nehme ihn und gehe rein, ohne zu klingeln.
    Ich suche mir einen Weg durch die achtlos auf den Boden geworfenen Kleidungsstücke und die Bücherstapel, die sich wie von selbst zu vermehren scheinen. Fitz sitzt vor seinem PC. »He«, sage ich. »Du hast versprochen, eine Spur für uns zu legen.«
    Greta kommt ins Büro gesprungen und klettert Fitz fast auf den Schoß. Er krault sie hinter den Ohren, und sie drückt sich enger an ihn, wobei sie zwei Fotos vom Schreibtisch fegt.
    Ich bücke mich, um sie aufzuheben. Auf einem ist ein Mann zu sehen, der mitten auf dem Kopf ein Loch hat, in dem eine brennende Kerze steckt. Das zweite Foto zeigt einen grinsenden Jungen mit zwei Pupillen in jedem Auge. Ich reiche Fitz die Fotos. »Verwandte von dir?«
    »Ich arbeite an einer Serie mit dem Titel >Seltsam, aber wahr<, da geht's um die merkwürdigsten Phänomene.« Er hält mir das Bild von dem Mann mit der Votivkerze im Schädel hin. »Dieser erstaunlich erfinderische Bursche soll nachts Stadtführungen veranstaltet haben. Und eben habe ich einen medizinischen Bericht aus dem Jahr 1911 gelesen, von einem Arzt, der einen elfjährigen Patienten behandelt hat. Der Junge war wegen Schmerzen im Fuß zu ihm gekommen, und bei der Untersuchung stellte sich heraus, daß ihm ein Backenzahn aus der Fußsohle wuchs.«
    »Na und?« sage ich. »Jeder Mensch hat doch irgendwas Seltsames. Eric zum Beispiel kann die Zunge so komisch hochklappen, und du kannst diese widerliche Sache mit den Augen machen.«
    »Meinst du das?« sagt er, doch ich drehe mich weg, bevor ich es sehen muß. »Oder du, die schon ausflippt, wenn in einer Meile Entfernung eine Spinne in ihrem Netz hockt.«
    Ich drehe mich nachdenklich wieder zu ihm um. »Hatte ich schon immer Angst vor Spinnen?«
    »Solange ich dich kenne«, sagt Fitz. »Vielleicht hattest du in einem früheren Leben mal ein traumatisches Erlebnis mit Spinnen.«
    »Und wenn ja?« sage ich.
    »Das war doch nicht ernst gemeint, Dee. Nur weil jemand Höhenangst hat, muß er nicht vor hundert Jahren in den Tod gestürzt

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