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Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Titel: Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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in die Gesäßtaschen seiner Jeans. Unter meinem Ohr hält sein Herz für mich den Takt. Tut mir leid, daß ich an dir gezweifelt habe. »Krieg ich auch einen Frosch?« frage ich.
    »Du hattest schon mal einen. Du hast ihn geküßt und hast mich bekommen. Weißt du nicht mehr?« Zur Veranschaulichung fährt er mit den Lippen von der kleinen Furche unten an meinem Hals - eine Narbe, die ich mir beim Rodeln zugezogen habe, als ich zwei war - bis hinauf zu meinem Mund. Ich schmecke Kaffee und Hoffnung und, Gott sei Dank, nichts anderes.
    Wir bleiben ein paar Minuten im Zimmer unserer Tochter stehen, auch noch, als der Kuß vorbei ist, lehnen uns einfach aneinander. Ich habe ihn immer geliebt. Frosch oder nicht.
    Als wir klein waren, hatten Eric, Fitz und ich eine eigene Sprache. Das meiste habe ich vergessen, bis auf ein paar Wörter: valyango, Pirat; palapala, Regen; und ruskifer, das den rauhen Boden eines geflochtenen Korbes bezeichnete, die Stelle, wo alle Schilfrohre zusammenlaufen. Ruskifer benutzten wir manchmal als Bild für unsere Freundschaft.
    Im Winter bauten wir Schneeburgen mit komplizierten Gängen und Tunneln und einem Thron für jeden. Im Frühling machte Fitz' Dad, wenn er Ahornsirup kochte, für uns »Zucker auf Schnee«, das waren Schüsseln mit Schnee, der mit dem heißen Sirup übergossen wurde, und wir fochten mit Gabeln um die süßesten, längsten Sirupfäden. Im Herbst kletterten wir über den Zaun von McNabs Apfelplantage und aßen Sorten wie Macoun und Cortland und Jonagold mit einer Haut, die so warm war wie unsere. Im Sommer schrieben wir im schwachen Licht von gefangenen Glühwürmchen geheime Prophezeiungen über unsere Zukunft und versteckten sie im Astloch eines Ahornbaumes - für später, wenn wir erst groß wären.
    Wir hatten jeder unsere Rolle: Fitz war der Träumer; ich war die praktisch veranlagte Taktikerin; Eric war der Frontmann, der Erwachsene ebenso wie andere Kinder mit Mühelosigkeit um den Finger wickeln konnte. Eric wußte stets genau das richtige zu sagen. Zu seinem Gefolge zu gehören war so ähnlich, wie wenn die Sonne durch eine Fensterscheibe schien: Es war golden, etwas, dem man das Gesicht entgegenhob.
    Alles veränderte sich, als wir nach dem ersten Jahr auf dem College in den Semesterferien nach Hause kamen. Wir rieben uns alle an den Regeln und Vorschriften unserer Eltern, aber Eric scheuerte sich wund und lebte erst auf, wenn wir drei abends ausgingen. Er schlug immer irgendeine Kneipe vor, und er kannte welche, in denen niemand den Ausweis sehen wollte. Anschließend, wenn Fitz nach Hause gegangen war, legten Eric und ich uns auf eine alte Decke am hinteren Ufer des Sees und zogen uns gegenseitig aus. Aber jedes Mal, wenn ich ihn küßte, schmeckte ich den Alkohol in seinem Atem, und ich konnte Alkoholgeruch noch nie ausstehen. Wenn ich Eric küßte und den säuerlichen, bitteren Geruch inhalierte, rollte ich mich von ihm weg. Er nannte mich prüde, und vielleicht war ich das ja auch - es war einfacher, als zuzugeben, was mich wirklich vom ihm forttrieb.
    Manchmal gehen wir mit verbundenen Augen durchs Leben und wollen uns nicht eingestehen, daß wir uns das Tuch selbst umgebunden haben. So war es bei mir und Fitz in den zehn Jahren nach der High-School. Wenn Eric sagte, er würde nur hin und wieder ein Bier trinken, glaubten wir ihm. Wenn seine Hände im nüchternen Zustand zitterten, sahen wir weg. Wenn ich seinen Alkoholkonsum erwähnte, wurde es mein Problem, nicht seins. Und doch konnte ich unsere Beziehung nicht beenden. Alle meine Erinnerungen waren mit ihm verknüpft; mich von ihnen zu lösen, hätte bedeutet, den Geschmack meiner Kindheit zu verlieren.
    An dem Tag, als ich feststellte, daß ich schwanger war, kam Eric mit dem Wagen von der Straße ab und landete auf einem Maisfeld. Als er mich anrief und mir erzählte, was passiert war - er gab einem Kaninchen die Schuld, das über die Straße gelaufen war -, legte ich auf und fuhr zu Fitz. Ich glaube, wir haben ein Problem, sagte ich zu ihm, als würde es uns alle drei betreffen, was im Grunde auch stimmte.
    Fitz hörte mir zu, wie ich zuerst eine Wahrheit aussprach, die wir bis dahin geflissentlich unter den Teppich gekehrt hatten, und dann eine neuere, die großartig und beängstigend zugleich war. Ich schaff das nicht allein , sagte ich zu ihm.
    Er schaute auf meinen Bauch, der noch flach war. Du bist nicht allein.
    Erics Anziehungskraft war unbestreitbar, aber an dem Nachmittag wurde mir klar,

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