Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman
gewechselt hat, am alten Kramladen, an der Geflügelfarm, wo riesige, in Folie eingepackte Heuballen neben der Scheune gestapelt sind, wie gigantische Marshmal-lows. Schließlich bin ich da, parke den Wagen und haste hinein.
Es hat noch nicht angefangen. Noch immer drängen sich Leute um den Tisch mit Kaffee und Plätzchen, wechseln gezwungen ein paar Worte. Ich sehe Männer in Geschäftsanzügen und Frauen in Trainingshosen, ältere Männer und junge Milchgesichter. Ich weiß, daß einige von ihnen extra ein Stunde Autofahrt auf sich genommen haben, um herzukommen. Ich geselle mich zu einer Gruppe Männer, die darüber reden, daß die Boston Bruins wirklich alles tun, um in der Eishockeyliga abzusteigen.
Die Neonlampen gehen flackernd an, und der Leiter bittet uns, Platz zu nehmen. Er eröffnet das Treffen und spricht ein paar einleitende Worte. Ich sitze neben einer Frau, die versucht, geräuschlos eine Tüte Bonbons zu öffnen. Als sie sieht, daß ich sie beobachte, wird sie rot und bietet mir eins an. Saurer Apfel.
Ich lutsche das Bonbon eine Weile, statt es zu zerkauen, aber ich bin kein geduldiger Mensch, und noch während ich mir vorstelle, dass es so dünn wird wie ein Dichtungsring, merke ich, daß ich es zwischen den Zähnen zermalme. Im gleichen Augenblick entsteht eine Pause. Ich hebe die Hand, und der Vorsitzende lächelt mich an.
»Ich bin Eric«, sage ich und stehe auf. »Und ich bin Alkoholiker.«
Nach meinem Juraexamen hatte ich mehrere Stellenangebote. Ich hätte in einer renommierten Bostoner Kanzlei anfangen können, in der die Mandanten locker 250 Dollar für eine Stunde meiner kostbaren Zeit berappt hätten. Ich hätte auf der humanitären Schiene als Pflichtverteidiger arbeiten können. Ich hätte eine Assistentenstelle bei einem Richter am State Supreme Court annehmen können. Statt dessen entschied ich mich dafür, nach Wexton zurückzukommen und eine eigene Kanzlei aufzumachen. Der Grund dafür war einfach: Ich halte es nicht aus, von Delia getrennt zu sein.
Bestimmt könnten einem die meisten Männer sagen, wann ihnen klar wurde, daß die Frau, die neben ihnen steht, die Frau ist, mit der sie ihr Leben verbringen wollen. Bei mir war das ein wenig anders: Delia hatte schon so lange neben mir gestanden, daß ich mit ihrer Abwesenheit nicht klarkam. Wir sind fünfhundert Meilen voneinander entfernt aufs College gegangen, und wenn ich bei ihr im Studentenwohnheim anrief und der Anrufbeantworter sprang an, stellte ich mir all die Typen vor, die genau in dieser Sekunde versuchten, sie mir wegzunehmen. Ich gebe zu: Solange ich zurückdenken konnte, hatte Delias Zuneigung mir gegolten, und der Gedanke, zum ersten Mal Konkurrenz zu haben, war mir schier unerträglich. Ein Bier trinken zu gehen machte es mir möglich, nicht ständig an sie denken zu müssen, doch allmählich wurden aus einem Bier sechs oder zehn.
Das Trinken lag mir sozusagen im Blut. Jeder kennt doch die Statistiken über Kinder von Alkoholikern.
Ich hätte als Kind geschworen, daß ich nie so werden würde wie meine Mutter - und vielleicht wäre es auch nicht passiert, wenn ich Delia nicht so furchtbar vermißt hätte. Ohne sie war ich innen leer, und um die Leere zu füllen, habe ich genau das getan, was in der Familie Talcott normal war.
Es ist komisch. Ich habe mit dem Trinken angefangen, weil ich den Ausdruck in Delias Augen sehen wollte, wenn sie nur mich sah, und aus demselben Grund habe ich mit dem Trinken aufgehört. Sie ist nicht nur der Mensch, mit dem ich mein ganzes Leben verbringen möchte, sie ist der Grund, warum ich überhaupt eins habe.
Heute nachmittag treffe ich mich mit einem möglichen Mandanten, mit einer Krähe, um genauer zu sein. Blackie hat sich beim Sturz aus dem Nest verletzt, sagt zumindest Martin Schnurr, der ihn gerettet hat. Er hat den Vogel wieder hochgepäppelt, und als der danach immer wieder zu ihm kam, hat er ihn auf seiner Veranda in Hanover mit kaltem Kaffee und Donut-stücken gefüttert. Doch irgendwann hat die Krähe die Kinder eines Nachbarn gejagt, und die Behörden wurden eingeschaltet. Wie sich herausstellte, sind Krähen nach den Bundesbestimmungen Wandervögel, und Mr. Schnurr ist nicht im Besitz einer behördlichen Genehmigung, Blackie zu halten.
»Das Umweltamt hat ihn ins Tierheim bringen lassen, und er ist gleich wieder ausgebüxt«, sagt Schnurr stolz. »Hat zu mir zurückgefunden, volle zehn Meilen.«
»Luftlinie natürlich«, sage ich. »Also, was kann ich für Sie
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