Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman
Mittendrin, Sophie ist an der Reihe, tritt mein Hund auf die Plastikhalbkugel, um die Würfel durchzuschütteln.
Ich lache verblüfft auf. »Dad«, rufe ich nach oben, wo er Wäsche zusammenlegt. »Komm runter, das mußt du dir ansehen.«
Das Telefon klingelt, und als der Anrufbeantworter anspringt, erklingt Fitz' Stimme. »He, Delia, bist du da? Ich muß mit dir reden.«
Ich springe auf, um dranzugehen, doch Sophie ist schneller und drückt den Aus-Knopf. »Du hast es versprochen«, sagt sie, doch da wird ihre Aufmerksamkeit von irgend etwas hinter mir abgelenkt.
Ich folge ihrem Blick und sehe draußen das Blitzen von Blaulicht. Drei Polizeiwagen haben die Einfahrt abgeriegelt. Zwei Uniformierte kommen auf die Haustür zu. Etliche Nachbarn stehen auf ihren Veranden und gaffen herüber.
Alles in mir erstarrt. Wenn ich die Tür öffne, werde ich etwas hören, das ich nicht hören will - daß Eric wegen Alkohol am Steuer festgenommen wurde, daß er einen Unfall hatte. Oder Schlimmeres.
Als die Türglocke schrillt, stehe ich ganz still da und habe die Arme vor der Brust verschränkt - damit ich nicht auseinanderbreche. Es klingelt wieder, und ich höre, wie Sophie aufmacht. »Ist deine Mom da, Kleines?« fragt einer der Polizisten.
Ich kenne den Officer von einem gemeinsamen Einsatz. Greta und ich haben ihm einmal geholfen, einen Mann aufzuspüren, der nach einem Raubüberfall geflüchtet war. »Delia«, begrüßt er mich.
Meine Stimme ist hohl. »Rob. Ist was passiert?«
Er zögert. »Eigentlich müssen wir mit Ihrem Vater sprechen.«
Sogleich erfaßt mich eine Welle der Erleichterung. Wenn sie zu meinem Vater wollen, geht es nicht um Eric. »Ich hol ihn«, sage ich, doch als ich mich umdrehe, steht er schon da.
Er hat ein Paar Socken in der Hand, faltet sie ordentlich zusammen und gibt sie mir. »Gentlemen«, sagt er. »Was kann ich für Sie tun?«
»Andrew Hopkins?« sagt der zweite Officer. »Wir haben einen Haftbefehl gegen Sie. Sie stehen in Verdacht, Bethany Matthews entführt zu haben.«
Rob hat die Handschellen hervorgeholt.
»Das muß eine Verwechslung sein«, sage ich fassungslos. »Mein Vater ist doch kein Kidnapper.«
»Sie haben das Recht zu schweigen«, leiert Rob herunter. »Alles, was Sie sagen, kann und wird vor Gericht gegen Sie verwendet werden. Sie haben das Recht auf einen Anwalt und auf die Anwesenheit eines Anwalts bei jedem Verhör-«
»Ruf Eric an«, sagt mein Vater. »Der wird wissen, was zu tun ist.«
Die Polizeibeamten schieben ihn bereits zur Tür hinaus.
Ich habe zig Fragen: Warum macht ihr das mit ihm? Wie könnt ihr so einem Irrtum erliegen? Aber die einzige Frage, die aus meinem Mund kommt, obwohl meine Kehle wie zugeschnürt ist, überrascht mich selbst. »Wer ist Bethany Matthews?«
Mein Vater sieht mich einen Augenblick unverwandt an. »Das warst du«, sagt er.
ERIC
Ich komme fast zu spät zu dem Treffen, weil ich einen städtischen Kipplaster vor mir habe und nicht überholen kann. Genau wie ein Dutzend anderer, die jedes Jahr im März in Wexton unterwegs sind, ist er hoch mit Schnee beladen, der von den Gehwegen und den Parkplätzen geräumt wurde. Früher habe ich mir vorgestellt, daß sie Richtung Florida fahren, bis die Ladung geschmolzen ist, aber in Wahrheit fahren die Laster zu einer Schlucht am Rande des Golfplatzes und kippen dort alles ab. Der Schneeberg, der dort aufgeschüttet wird, ist so gigantisch, daß man sogar noch im Juni, wenn es bereits bis zu fünfundzwanzig Grad warm wird, Kinder in Shorts dort rodeln sehen kann.
Das Erstaunliche ist, daß eine so gewaltige Menge Schnee keine Überschwemmung verursacht, wenn er schmilzt. Die entstehenden Wassermassen müßten doch in der Lage sein, einen Highway in einen reißenden Fluß zu verwandeln, doch wenn der Schnee verschwunden ist, ist der Boden darunter größtenteils trocken. Delia und ich waren zusammen im Naturwissenschaftskurs, als wir lernten, warum: Schnee löst sich quasi in Luft auf. Er gehört zu den festen Bestandteilen, die direkt verdampfen können, ohne vorher ein flüssiges Stadium zu durchlaufen - diesen Vorgang nennt man Sublimation.
Erst als ich anfing, zu diesen Treffen zu gehen, habe ich erfahren, daß das Wort noch eine zweite Bedeutung hat: die Energie eines niedrigen Impulses auf ein ethisch höheres Ziel umzuleiten.
Der Laster vor mir biegt nach rechts in eine Einfahrt, und ich gebe Gas. Ich komme an dem Deli vorbei, das in den letzten sechs Monaten dreimal den Besitzer
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