Walburgisöl - Oberbayern-Krimi
als Preis einen kleinen grauen Plüschelefanten bekommen hatte.
»Jessica – du bist die Freundin von Jonas. Du wolltest mit ihm nach Jamaika«, murmelte er. »Du kannst schießen, so viel steht fest.«
Und er sah vor sich, wie Jessica und Jonas, zwei junge Menschen, nachts gemeinsam am Waldrand auf den Verräter Matthias Schreiber warteten. Jonas, idealistisch und verblendet, und Jessica, idealistisch und verliebt. Und Morgenstern war sich sicher, wer von den beiden den Schuss mit dieser unglaublich tödlichen Präzision abgefeuert hatte.
Langsam schob sich der Schützenverein an ihm vorbei, und die junge Frau sah Morgenstern nicht an. Warum auch? Sie kannte ihn nicht. Doch Morgenstern hatte das Gefühl, dass sie auch sonst niemanden ansah. Dass sie ging wie in Trance. Wie in Ketten, mit einer dicken schwarzen Eisenkugel an den Beinen.
Morgenstern fasste seinen Entschluss. Er wandte sich ab, ging langsam zu Fiona zurück und legte den Arm um ihre Schultern.
»Ich warte diese lustigen Wagen nicht mehr ab«, sagte er. »Ich fahre jetzt nach Ingolstadt und schreibe meinen Bericht. Jonas hat mir da oben auf dem Kirchendachboden alles gestanden. Er war es ganz allein. Das ist alles plausibel und nachprüfbar. Da gibt es nichts mehr zu tun. Das wird auch Adam Schneidt so sehen.«
DONNERSTAG
Seit drei Tagen saß die Familie Morgenstern Tag für Tag von früh bis spät am Strand von Antalya. Hinter sich eine Bettenburg, wie sie sich Morgenstern in seinen schlimmsten Urlaubsalpträumen nicht hätte ausmalen können, vor sich das spiegelblanke türkisfarbene Mittelmeer. Das Wasser hatte sich im Laufe des Sommers auf sechsundzwanzig Grad aufgeheizt, »bieselwarm«, wie Morgenstern zuerst missmutig geurteilt hatte. Doch er hatte bald gemerkt, dass die Unterkunft mit Vollpension zum jetzigen Zeitpunkt unschätzbare Vorzüge gegenüber seinem gewohnten Campingurlaub hatte. Am warmen Büfett des Hotels flogen ihm die gebratenen Tauben geradezu in den Mund, während er sich sonst mühsam am Gaskocher mit Tomatensoßen-Spaghetti gemüht hatte. Der Tischwein, den ihr Hotelbunker zur Verfügung stellte, traf ebenfalls seinen Geschmack. Und selbst die Algenplage, vor der Morgenstern noch im Flugzeug unermüdlich gewarnt hatte, hatte wohl einen Bogen um Antalya gemacht.
»Aber man kann kein Lagerfeuer machen« war der letzte Kritikpunkt, der vom Familienvorstand ein ums andere Mal gegen den türkischen Pauschalurlaub ins Feld geführt wurde. Fiona hörte sich das Gemäkel klaglos an, und Bastian und Marius grinsten, wenn die Rede mal wieder aufs fehlende Outdoor-Gefühl kam. Die beiden Jungs hatten sich in kürzester Zeit mit anderen deutschen Kindern angefreundet, mit denen sie unablässig am Strand herumstromerten. Alle spürten, dass es für Morgenstern keine bessere Möglichkeit gab, die dramatischen Ereignisse der vergangenen Woche zu verarbeiten. Und es gelang ihm von Tag zu Tag besser, abzuschalten.
»Ganz schlecht ist es hier nicht«, gestand Morgenstern eines Nachmittags großmütig ein, als er neben Fiona auf einer Liege am Strand lag, neben sich eine gut gekühlte Dose Heineken-Bier, den Bauch mit der Bild-Zeitung bedeckt. Es war, soweit er sich erinnern konnte, das erste Mal, dass er sich im Urlaub die Bild gekauft hatte, aber der Kiosk neben dem Hotelblock hatte jetzt, in der beginnenden Nachsaison, alle anderen deutschen Zeitungen mangels Nachfrage bereits aus dem Sortiment genommen. Ein türkischer Junge ging am Strand entlang und balancierte auf dem Kopf ein riesiges Messingtablett voller Sesamkringel. Morgenstern kaufte drei Stück, aß sie nacheinander auf, spülte kräftig mit Bier nach und legte sich dann wieder wohlig aufs Ohr.
Fiona schüttelte den Kopf. »Ich habe den Eindruck, dass du dich mit dem Thema Pauschalurlaub arrangiert hast. Sogar ein bisschen zu sehr, wenn ich das mal sagen darf.«
»Wenn schon, denn schon«, grunzte Morgenstern, und es dauerte nur noch wenige Minuten, bis Fiona ein gleichmäßiges, sonores Schnarchen zu hören bekam.
»Träum was Schönes«, flüsterte sie ihm zu. Dann packte sie alle Wertsachen, auch Morgensterns Hotelschlüssel und Geldbeutel, in ihre Strandtasche und ging zum Hotel.
Als Morgenstern aufwachte, waren über drei Stunden vergangen. Die Sonne stand tief, und die meisten Badegäste hatten den Strand schon verlassen. Von Fiona und den Kindern fehlte jede Spur. Brummend richtete er sich auf, griff sich die halbvolle Bierdose und nahm einen großen Schluck.
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