Walburgisöl - Oberbayern-Krimi
Rand der Menge entdeckte er, begleitet von den beiden Polizeibeamtinnen, Walburga Zinsmeister. Sie sah zu ihm herüber, doch als sie bemerkte, dass er sie erkannt hatte, wandte sie sich abrupt ab und drehte ihm den Rücken zu. Morgensterns Gesicht versteinerte.
»Was ist eigentlich mit dem alten Anton Bruckmair?«, fragte Morgenstern nach einiger Zeit, in der sie schweigend nebeneinander hergegangen waren.
»Du hast ihn gerade noch rechtzeitig gefunden. Und Gott sei Dank hast du mir noch am Handy gesagt, dass es dieses E 605 war. Sie haben ihn wiederbelebt und ihm ein Gegenmittel gegeben. Atropin oder so ähnlich. Er wird schon durchkommen. Sie haben ihn eben vorhin mit dem Rettungshubschrauber nach München geflogen. Ihn und diesen jungen Burschen. Der kommt nach Murnau in die Unfallklinik. Aber für ihn sieht es gar nicht gut aus, hieß es vorhin. Ich habe mit dem Arzt gesprochen.«
»Was hat er gesagt?«, drängte Morgenstern.
»Nichts, was du hören willst. Dass du den Sturz überlebt hast, ist ein Wunder, ein echtes Wunder. Etwas, um das man lange beten muss. So etwas gibt es nur einmal.«
Morgenstern schüttelte fassungslos den Kopf. »Ich bin schuld, wenn der Junge stirbt«, flüsterte er.
Hecht legte für einen kurzen Moment den Arm um Morgensterns Schultern. »Nein, du kannst nichts dafür. So etwas darfst du nicht denken.«
Schweigend gingen sie weiter, Hecht mit einer Plastiktüte in der Hand, in der Morgensterns klatschnasse Kleidung, Stiefel und Pistole steckten. Morgenstern selbst hatte die Ersatzkleidung des vollbärtigen Sanitäters angezogen, die im Rettungswagen gelegen war.
Nach einer Weile blieb Hecht stehen und fummelte umständlich in seiner Jackentasche herum. Langsam zog er ein Stück Schnur heraus. Die Blumenschnur vom Friedhof, ein dünnes, aber stabiles Hanfseil.
»Du wolltest, dass ich die Schnur mit nach Eichstätt bringe. Weißt du jetzt, was es mit diesem Ding auf sich hat?«
Morgenstern nickte. »Das ist eine Hälfte des Stricks, mit dem die SS den Geliebten von Walburga Zinsmeister aufgehängt hat. Sie hat ihn sich von den Amerikanern geben lassen und über all die Jahrzehnte aufbewahrt. Sie hat sich immer gewünscht, den Denunzianten dieses Seil mit ins Jenseits zu geben.«
Hecht starrte den dünnen Strick in seinen Händen an, als könnte es ihn mit einer tödlichen Krankheit infizieren. Doch dann rollte er ihn sorgfältig zusammen und steckte ihn in seine Jackentasche zurück.
»Das kommt dann wohl in die Asservatenkammer. Und wo ist die andere Hälfte?«
»Ich denke, Frau Zinsmeister hat sie noch irgendwo zu Hause. Die wird sie eines Tages ins Grab von Anton Bruckmair werfen. Falls sie ihn überlebt.«
Schweigend gingen sie weiter.
»Ich werde noch heute Nachmittag im Präsidium sein und meinen umfassenden Bericht abgeben«, sagte Morgenstern plötzlich. »Und wenn ich die ganze Nacht schreiben muss: Morgen früh bin ich fertig und fliege mit Fiona in Urlaub. In einer Woche bin ich wieder da, so lange musst du für uns beide sprechen.«
Hecht runzelte die Stirn. »Das gestattet dir Adam Schneidt nie. Wenn der dich morgen in die Türkei entlässt, glaub mir, das wäre ein …« Er sah Morgenstern in seiner Sanitäterkleidung seltsam von der Seite an und beendete dann den Satz: »Das wäre ein Wunder. Aber ab heute traue ich dir alles zu.«
* * *
»Die Kinder wollen den Volksfestumzug sehen«, sagte Fiona nach dem Mittagessen. »Du musst aber nicht mitkommen, Mike. Ruh dich noch ein bisschen aus, bevor du ins Präsidium fährst.«
»Ich komme mit«, sagte Morgenstern kurz entschlossen. »Ich kann mich momentan sowieso nicht entspannen, da kann ich genauso gut mit euch kommen. Was ist das überhaupt für ein Umzug?«
»Ach, nichts Besonderes: Ein Haufen Vereine marschiert durch die Stadt zum Volksfestplatz, es spielen Blaskapellen, ein paar Pferdefuhrwerke traben vorbei, und dann gibt es angeblich auch noch lustige Wägen, wie bei einem Faschingsumzug. In einer halben Stunde geht es los.«
»Das sehen wir uns gemeinsam an«, entschied Morgenstern und erhob sich schwerfällig vom Sofa. »Apropos sehen, Fiona. Hast du irgendwo meine neue Brille gesehen? Die müsste in meiner Jacke gesteckt sein.«
»Nein, tut mir leid. Da war sie nicht. Bloß so ein kleines Glasfläschchen und ein total durchweichter Zettel. Aber keine Brille.«
»Verdammt, dann liegt das Ding in der Altmühl. Kaum zu glauben: Ich hab die Brille höchstens eine Minute lang getragen.«
Fiona
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