Walden - Leben in den Wäldern: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
verfolgte er hinfort die Schicksale dieses Mannes, der wie kein zweiter in dieser Frage mit ihm übereinstimmte, und der ihm wie kein zweiter berufen zu sein schien, eine leitende Rolle in dem unvermeidlichen Kampfe zu spielen. Da drang die Schreckenskunde zu ihm: Brown, sein Freund, sein geistiger Bruder, war in Gefangenschaft, stand in Virginia vor Gericht und hatte den Tod durch Henkershand vor Augen! Die Stimmen, die noch soeben dieses Mannes Lob gesungen hatten, verstummten: für den Störer des Landfriedens, für den Revolutionär und Anarchisten Brown fand niemand – auch kein Sklavereigegner – ein Wort der Verteidigung. Der Waldeinsiedler aber, der Concordphilosoph, fühlte vor Zorn über seine Landsleute, vor Mitleid mit seinem Freunde das Blut in den Schläfen pochen. Schweigen oder Abwarten dünkte ihm hier Feigheit. Er sandte in Concord von Haus zu Haus und lud die Bewohner zu einer Versammlung ein. Mitglieder politischer Vereine versuchten vergeblich, ihn von seinem Vorhaben abzubringen.Er sprach – sprach anderthalb Stunden lang vor einer großen Menschenmenge, verherrlichte den alten Helden, fand gleich glühende Worte für den Freund wie für den Haß gegen die Regierung ... " Denkt doch an seine seltenen Eigenschaften! Jahrhunderte waren nötig, um diesen Mann zu schaffen, Jahrhunderte waren nötig, um ihn zu begreifen. Es ist kein Popanz, kein Vertreter irgend einer Partei! Einen Mann wie ihn, der aus dem kostbarsten Material geschaffen und gesandt wurde, um die zu befreien, die in Fesseln schmachten, wird die Sonne vielleicht nie wieder in diesem herrlichen Lande bescheinen! Und Ihr könnt ihn nur dazu gebrauchen ihn am Ende eines Strickes aufzuhängen! Ehrt Euch selbst und lernt ihn begreifen. Eurer Achtung wahrlich bedarf er nicht!" ... So sprach ein Held für einen Helden. So lebte ein Philosoph seine Philosophie. So liebte ein Freund den Freund ...
Brown aber ward gehenkt. Auf einem Acker bei Charleston starb der echte Menschenfreund. "Wie schön sind doch diese Kornfelder" waren seine letzten Worte. In den neuenglischen Staaten wurden überall Trauergottesdienste angeordnet, die Glocken läuteten und von den Kanzeln herab wurde das Volk zur Rache für den Freiheitskämpfer aufgefordert. Die Kriegsfackel loderte auch bald empor und auf dem Marsche sangen die Soldaten:
"John Browns Körper, der liegt modernd in der Erd',
"Seine Seele aber zieht mit uns zum Streit.
"Gloria, gloria, gloria, Hallelujah!"
Und wer weiß, was geschehen wäre, wenn die ererbte Lungenkrankheit nicht schon jetzt Thoreaus Lebenskraft untergraben hätte! Vielleicht wären wir ihm auf dem Schlachtfeld wieder begegnet. Doch allzu schnell sanken seine Kräfte. Tapfer und geduldig ertrug er alles. "Es war unmöglich, in seiner Gegenwart traurig zu sein", sagt seine Schwester. Schon 1862 starb er am sechsten Tage des Monats Mai im fünfundvierzigsten Lebensjahre. Auf dem Friedhof zu Concord liegt er begraben. Ein einfacher Stein schmückt sein Grab. Auf ihm sollten die Worte stehen, die Thoreau einst in sein Tagebuch schrieb:
"Vor Freude könnte ich die Erde umarmen, Freude erfüllt mich, daß ich dereinst in ihr ruhen werde." –
Thoreau war eine Individualität. Er hatte keinen Vorgänger, er kann auch keinen Nachfolger haben. Manch günstiges und manch ungünstiges Urteil ist über ihn gefällt worden, sagt Torrey, eines aber läßt sich nicht leugnen: Als Ganzes genommen hatte er nicht seinesgleichen. Wohl haben auch andere Menschen Einfachheit gepredigt, in freiwilliger Armut gelebt, die Natur von Herzen geliebt und sich an ihre Brust geflüchtet, wohl haben auch andere vor und nach Thoreau die Zivilisation gering geschätzt und die Kultur zurückersehnt und ihren Landsleuten den Spiegel der Wahrheit vorgehalten, wohl haben auch andere an "eine absolute Güte", an eine Weisheit hocherhaben über menschliches Wissen geglaubt – doch Thoreau als Ganzes: als Dichter und Idealist, als Stoiker, Zyniker, Naturforscher und Mystiker, als der Freundschaft-Ersehnende, Reinheit-Suchende, Vollendungs-Durstige, Armut-Stolze – wo hat er seinesgleichen? Er war kein Rousseau, denn Eitelkeit war ihm fremd und Geständnisse hatte er nicht zu machen. Er war kein Tolstoj, denn schon in früher Jugend fuhr er mit vollen Segeln ins weite Meer hinaus, das Wunderland seiner Sehnsucht zu suchen. Nie änderte er den Kurs. Immer blieb er sich selber treu. Er war kein Montaigne, kein Charron. Eher dann noch ein
Weitere Kostenlose Bücher