Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen
zweiflige Satz der Schriftsteller ist durch solche Darstellungen erklärt oder auch berichtigt werden. Solcher Denkmäler entraten wir, mit verschwindend geringfügigen Ausnahmen, für die germanische Religion völlig.
Der Kulturgrad war viel rauher, einfacher als der der Hellenen und Italiker zu der Zeit, aus welcher auch die ältesten der antiken Bildwerke stammen; Sinn und Talent unsres Volks für bildende Kunst und Kunsthandwerk sind – und waren noch mehr bei der Armut der Lebensverhältnisse und unter dem rauhen Himmelsstrich des Nord-Lands – erheblich geringer als bei Griechen und Italikern. So gab es nur sehr wenige Tempel; nur bei Nordgermanen sind sie für späte Zeit häufiger bezeugt; – an ihrer Stelle galten heilige Haine, mit Schauern der Ehrfurcht erfüllende Wälder als Wohnstätten der Himmlischen; – zwar fehlte es nicht ganz an heiligen Baumsäulen (Irmin-Sul s. unten), an Altären, an Opfergerät (wie grossen ehernen Kesseln); auch Götterbilder werden manchmal erwähnt; aber, von jeher selten, wurden sie von den christlichen Priestern bei ihrer ersten Belehrungsarbeit oder später, nach durchgeführter Christianisierung, gemäss Beschlüssen der Konzilien und Verordnungen der Bischöfe planmässig zerstört.
Nun sind uns allerdings christliche Aufzeichnungen von Götter- und Helden-Sagen erhalten, welche, in Ermangelung besserer Quellen, unschätzbaren Wert für uns tragen; die ältere und die jüngere Edda und andre Sagen-Sammlungen in Skandinavien.
Allein diese stellen lediglich die nordgermanische Überlieferung dar; und wir sahen bereits, dass man diese durchaus nicht ohne weiteres auf die "Südgermanen", die späteren Deutschen, übertragen darf.
Dazu kommt nun aber, dass die Aufzeichnung der alten Sagen erst in sehr später Zeit geschah, von Männern, welche Christen waren, nachdem das Christentum samt seiner Vorstufe, dem alten Testament, nachdem auch die klassische Kultur, die griechisch-römische, soweit sie erhalten war, durch Vermittlung der bekehrenden Kirche in den Norden eingedrungen war.
Es kann daher in sehr vielen Fällen zweifelhaft werden, ob der an sich freilich uralte Inhalt, der Stoff der Sage, bei der späten Aufzeichnung durch christliche Geistliche nicht in der Form, in der Färbung christliche Einwirkung erfahren habe, wie z. B. Saxo Grammatikus (gestorben 1204) aus den Göttern menschliche Helden, aus Asgard Byzanz gemacht hat.
Wir würden daher ratlos der trümmerhaften Überlieferung einzelner, in Ermangelung des Zusammenhangs unverständlicher Bruchstücke der germanischen Götterwelt gegenüberstehen, böten nicht die Sage, dann der Aberglaube und allerlei Sitten und Gebräuche, welche sehr oft als ein Niederschlag alter Göttergestalten und gottesdienstlicher Handlungen seit grauester Vorzeit bis heute in unserm Volke fortleben, hoch willkommene Erklärung und Ergänzung in geradezu staunenerregender Fülle.
Und es ist das unsterbliche Verdienst eines grossen deutschen Gelehrten, der aber zugleich die poetische Anschauung und die mitfühlende Ahnung einer echten Dichternatur in sich trug, es ist die That Jakob Grimms, die reichen Schätze uralter Überlieferung, welche in jenen Sagen und Sitten ruhten, mit der Hand des Meisters empor ans Licht gehoben und von den Spinnweben des Mittelalters gesäubert zu haben.
Denn die christlichen Priester hatten, teils unbewusst, teils in guter Absicht, an den im Volke noch fortlebenden Überlieferungen viele durchgreifende Veränderungen vorgenommen.
Diese Priester bestritten ja durchaus nicht das Dasein der heidnischen Götter und Göttinnen; nur sollten diese nicht, wie die Germanen sie aufgefasst, schöne, gute, wohltätige, den Menschen freundliche Schutzmächte sein, sondern hässliche Teufel, Dämonen, verderbliche Unholde, welche den Menschen auf Erden zu schaden oder sie in ihren Dienst zu locken suchen und sie dann im Jenseits, in der Hölle peinigen.
Anderseits hat aber die Kirche auch in kluger Anpassung altheidnische Feste und Gebräuche mit christlichen zusammengelegt, z. B. das Jul-Fest, die Wintersonnenwend-Feier, mit Weihnachten, das Fest des Einzugs der Frühlingsgöttin, Ostara, mit Ostern, die Sommersonnenwende mit dem Fest Johannes des Täufers; und endlich sind vom Volke viele Geschichten und Züge der Götter auf christliche Heilige übertragen worden.
Jakob Grimm hat nun mit ebenso tiefer Gelehrsamkeit wie poetischer Ahnung aus den kirchlichen Legenden die Götter und Göttinnen Walhalls
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