Steels Duell: Historischer Roman (German Edition)
1.
Die rechte Hand fest um den Knauf seines Degens geschlossen, spähte Captain Jack Steel in den morgendlichen Nebel und lauschte in die scheinbar endlose Leere hinein. Schließlich lockerte er seinen Griff, setzte seinen Weg fort, den Degen noch in der Scheide dicht am Körper, und wartete auf den Tod. Wenn der Tod ihn ereilte, dann von vorn. Doch die einzigen Laute, die Steel bislang wahrnahm, kamen von hinten. Er spürte, dass seine Männer hinter ihm waren, auch wenn er sie nicht sehen konnte, und er wusste, dass sie ihre Musketen geladen und die Bajonette aufgepflanzt hatten. Seine Männer: Eine Kompanie der besten Infanteristen in der Armee von Queen Anne. Vielleicht die besten Fußsoldaten auf der ganzen Welt – die britischen Grenadiere.
Doch in diesem Moment bot ihm nicht einmal die Gewissheit Trost, dass seine Männer bei ihm waren. Dichter Nebel wie dieser erwies sich zwar oftmals als Freund des Soldaten, wenn ganze Armeen, in Schwaden gehüllt, vorrückten und einen Überraschungsangriff planten … und vor dem Auge des Feindes verborgen blieben. Doch Steel wusste aus bitterer Erfahrung, dass dieser wässrige graue Dunst sich allzu schnell in einen tödlichen Gegner verwandeln konnte. Bei jedem Schritt spürte er die Gegenwart des Feindes. Schon malte er sich die Kavalleristen auf ihren großen Rossen aus, die plötzlich wie Geister aus dem dichten Grau auftauchten, und hörte in Gedanken, wie die Säbel grausam durch die Luft zischten, wenn die Dragoner nach den Köpfen der Infanteristen zielten. Steel hoffte inständig, es möge bei den Trugbildern seiner Einbildung bleiben. Er sah schon überall Gespenster. Seine Kommandeure hatten ihm versichert, die Franzosen seien noch weit vom Frontabschnitt entfernt. Ganz gleich, ob dies nun stimmen mochte oder nicht, Steel wusste, dass er sich auf ebenjene Kommandeure verlassen musste … und natürlich auf die Männer, die ihm in die Schlacht folgten. Er achtete nicht weiter auf die Furcht, die sich in seinen Magen fraß, verscheuchte die Schreckensbilder, die sein Geist hervorbrachte, und drängte unbeirrt vorwärts.
Es ging auf halb sieben zu, an einem kühlen Morgen im Mai – Pfingstsonntag –, und Steels Kompanie befand sich auf einer leichten, weitgehend kahlen Anhöhe im Grenzgebiet zwischen den Spanischen Niederlanden und Brabant. Traditionsgemäß hätte dieser Sonntag ein Tag der Ruhe und frommen Einkehr sein müssen, aber Jack Steel wusste, dass der heutige Tag nicht Gott geweiht sein würde. Seine Kompanie rückte westwärts vor, als Vorhut der Armee, und der Befehl war klar und eindeutig gewesen: »Vor dem Dorf Halt machen und Angriffsformation bilden.«
Das Problem war nur, dass Steel keinen blassen Schimmer hatte, wo dieses Dorf sich befand. Er wusste auch nicht, wo sie auf den Feind stoßen würden. Inzwischen wünschte er, dass die Gestalten, die der Nebel ihm vorgaukelte, sich als wirkliche Gegner erwiesen. Denn wenn es nach Steel ging, konnte die Schlacht nicht früh genug beginnen. Er fluchte leise vor sich hin und spie das Stück Tabak aus, auf dem er die ganze Zeit gekaut hatte. Dann lockerte er den abgegriffenen Lederriemen seiner kurzläufigen Muskete, die er sich über die Schulter gehängt hatte – ein Privileg eines Offiziers der Grenadiere. Seine Stiefel sanken in den aufgeweichten Untergrund. Besonders für einen hochgewachsenen und kräftig gebauten Mann wie Steel schien jeder Schritt schwerer zu sein als der vorhergehende.
Als unvermittelt Stimmen an sein Ohr drangen, schaute Steel angespannt nach links. Instinktiv umschloss er den Griff des Degens und zog die frisch eingefettete Klinge langsam aus der Scheide. Im wabernden Nebel tauchten zwei seiner rot uniformierten Männer auf. Offenbar wähnten sie sich weit ab von ihrem Offizier, denn der eine machte irgendeinen Scherz auf Kosten seines Kameraden. Steel entspannte sich und ließ die Waffe in die Scheide zurückgleiten. Er war im Begriff, die Männer anzusprechen, als er hinter sich eine andere Stimme vernahm. Der nordenglische Akzent des Sprechers war Steel vertraut, und auch wenn der Mann gedämpft sprach, so war der Zorn, der in den Worten mitschwang, unmissverständlich scharf.
»Leise da, ihr beiden! Ich behalte euch im Auge, ihr Tölpel. Und glaubt ja nicht, dass ich eure Namen nicht kenne!«
Steel drehte sich um und sah die große Gestalt seines Sergeants Jacob Slaughter, der aus der Gegend um Newcastle stammte. Wut zeichnete sich in den Zügen des Sergeants
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