Walküre
von St. Pauli, den in den Neunzigern niemand aufklären konnte, und wenn ich das nicht schaffe, ist mein Ruf plötzlich angeschlagen.«
»Ja, so ungefähr.«
»Schön, aber meiner bescheidenen Meinung nach ist dies nicht das Werk des Engels. Allerdings bin ich noch nicht bereit, dazu eine offizielle Erklärung abzugeben.« Fabel stand auf.
»Oh ...« Van Heiden griff in eine Schublade und holte einen Brief hervor. »Da ist noch etwas. Wir haben von der dänischen Polizei eine Bitte um eine Besprechung erhalten.«
»Worüber?« Fabel beugte sich über den Schreibtisch und nahm den Brief entgegen.
»Das wird nicht erläutert. Wie Sie wissen, hat die dänische Polizei hier einen Verbindungsbeamten. Aber das Schreiben kommt direkt von einem gewissen Politidirektor Vestergaard. Einer seiner Beamten, Jens Jespersen, fliegt aus Kopenhagen ein, um speziell mit Ihnen zu reden. Weitere Details fehlen. Es hat den Anschein, dass Ihr Ruf wahrhaft international geworden ist.«
Nachdem Fabel erfolglos sämtliche Schubladen in seinem Büro durchstöbert hatte, um den MP3-Player zu finden, nahm er an seinem Schreibtisch ein Käsebrötchen und einen Kaffee zu sich. Dann bereitete er sich ein paar Minuten lang auf sein Gespräch mit Anna Wolff vor. Er wusste, dass es schwierig werden würde. Nach ihrer Miene zu schließen, empfand Anna das Gleiche, als sie, wie immer ohne anzuklopfen, sein Büro betrat. »Setz dich, Anna«, sagte Fabel.
»Was gibt's?« Sie blieb stehen. »Werde ich etwa gefeuert?« Fabel seufzte schwer. »Ja, Anna, so könnte man es ausdrücken.«
Zum ersten Mal, seit sie einander kannten, wirkte Anna bestürzt. Sie sackte auf den Stuhl und richtete ihren leeren Blick auf Fabel.
»Es tut mir leid, Anna. Ich werde darum bitten, dich versetzen zu lassen. Schließlich habe ich dich unzählige Male wegen deiner Haltung verwarnt.«
»Was? Hat es etwa mit dem Witz zu tun, den ich gestern Abend gerissen habe?«
»Nicht ausschließlich, Anna, aber es hat dir nicht sonderlich genützt. Ich brauche Beamte, die meine Entscheidungen respektieren und meine Befehle befolgen. Und vor allem benötige ich ein Team, das an einem Strang zieht. Ich brauche Leute, auf die ich mich verlassen kann.«
»Und auf mich kannst du dich nicht verlassen? Wann habe ich denn deine Erwartungen nicht erfüllt?« Anna gab sich Mühe, ihre Fassung zurückzugewinnen.
»Anna, es ist ein ständiger Kampf, eine effektive Mordkommission aufzubauen und am Laufen zu halten. Außerdem habe ich noch die Aufgabe, die mir das BKA übertragen hat. In den letzten vier Jahren ist Paul Lindemann erschossen worden, und Maria Klee ... Maria wird noch sehr lange therapiert werden müssen.«
»Du brauchst mir nichts von Paul Lindemann zu erzählen.«
Anna zeigte sich wieder aufsässig wie je. »Schließlich war er mein Partner. Und Maria ist meine Freundin.«
»Und für beide war ich verantwortlich.« Fabel hielt inne. »Ich weiß, dass du ihnen nahegestanden hast, Anna. Pauls Tod und Marias Schicksal haben mir deutlich gemacht, dass wir straffer organisiert sein und als durch und durch disziplinierte Einheit handeln müssen. Aber an dieser Disziplin scheint es dir zu fehlen.«
Es folgte ein Moment des Schweigens. Anna betrachtete Fabel, um an seiner Miene abzulesen, welchen Verhandlungsspielraum sie hatte. Etwas wie Resignation stieg in ihren Augen auf.
»Ich dachte, du hättest uns als Team zusammengestellt, weil wir alle anders sind. Weil jeder von uns etwas Unterschiedliches einbringt.«
»Richtig«, sagte Fabel. »Aber diese Mordkommission muss als Einheit arbeiten, ohne Einzelgängertum und Sonderwünsche.«
»Oh, einen Moment mal. All das hat mit Maria zu tun – habe ich recht? Weil sie sich zu einem persönlichen Kreuzzug aufgemacht hat, beschließt du, gegen ... Individualität vorzugehen.«
»Ich habe nichts dagegen, dass du deine Individualität zum Ausdruck bringst, Anna. Wogegen ich etwas habe, ist die Tatsache, dass du dich nicht wie ein Teammitglied verhältst.« Fabel merkte, dass er die Stimme erhoben hatte. Er atmete tief durch und fuhr in ruhigem Tonfall fort: »Ich kann mir eine Rebellin in meinem Team nicht leisten, Anna.«
»Darauf könnte ich wetten.« Sie war einem Hohnlächeln nahe. »Das würde deine Chancen durchkreuzen, der größte Verbrechensbekämpfer in Deutschland zu werden. Was ist los, Jan? Hast du Angst, dass ich dich in Verlegenheit bringen könnte?« Diesmal war es Anna, die innehielt. »Es tut mir leid,
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