Walkueren
schon genug Zwietracht stiftete, dachte Víkingur. Er wusste, dass man Elín dieses Elitedenken nicht mit Erklärungen begreiflich machen konnte – wie gescheit sie auch sein mochte. Welch unterschiedliche Einstellungen die Menschen doch zum Leben haben konnten. Ohne jede böse Absicht.
Elín interpretierte Víkingurs entsetzten Blick so, dass er sich über ihre lasche Kontrolle von Eysteinns Arbeitsmethoden wunderte.
»Als ich von Freyjas Tod erfahren habe, habe ich ihn zur Rede gestellt, aber er hat behauptet, er sei völlig schockiert und habe keine Ahnung, wo das Manuskript abgeblieben sei. Ich habe ihm geglaubt und mich für dumm verkaufen lassen. Aber nach und nach ist mir klar geworden, dass die Sache zu merkwürdig war, um einfach nur ein Zufall zu sein, mit dem Eysteinn nichts zu tun hatte. Deshalb habe ich beschlossen, ihn etwas genauer zu beobachten. Dabei kam so einiges ans Licht. Zum Beispiel hat er sich mit gefälschten Zeugnissen beworben.«
»Was für Zeugnisse?«
»Er hat uns einen MBA-Abschluss von Harvard vorgegaukelt. Ich musste nur ein Telefonat führen, um dahinterzukommen, dass seit Gründung der Universität kein Eysteinn Brandsson dort studiert hat. Die Urkunden waren gefälscht; inzwischen kann sich jeder, der in der Lage ist, einen Kopierer zu bedienen, ein passendes Abschlusszeugnis basteln.«
»Du hast gesagt ›zum Beispiel‹ – hat dir das nicht gereicht, um ihn festzunehmen und unter Druck zu setzen?«
»Natürlich nicht. Was glaubst du denn, wie es für die Behörde und den Justizminister aussehen würde, wenn sich herumspräche, dass der frisch berufene Leiter der Sicherheitsabteilung keinen Schulabschluss hat?«
»Ich bezweifle, dass das große Diskussionen nach sich gezogen hätte«, sagte Víkingur. »Die Leute sind so einiges gewöhnt.«
»Meinst du?«, sagte Elín trocken.
»Ja. Und was hast du gemacht, nachdem du rausbekommen hast, dass deine rechte Hand ein Wolf im MBA-Pelz, ein Lügner und Urkundenfälscher ist?«
»Ich habe mir seinen Lebenslauf vorgenommen.«
»Und hat außer dem Märchen von seinen Studienleistungen sonst alles gestimmt?«
»Das wird sich noch herausstellen«, antwortete Elín. »Aber ich bin auf eine andere Sache gestoßen. Ein paar Tage nachdem Eysteinn aus dem Ausland nach Hause gekommen war und vorgetäuscht hatte, sein Studium endlich abgeschlossen zu haben, verstarben seine Eltern, beide am selben Tag. Das kam mir komisch vor, und ich habe recherchiert, woran sie gestorben sind.«
Sie verstummte und wartete darauf, dass Víkingur sie bat, fortzufahren. Aber er überraschte sie, indem er sagte: »Eysteinns Eltern haben Selbstmord begangen. Sein Vater hatte Prostatakrebs und seine Mutter Alzheimer. Man ging davon aus, dass er seine Frau nicht allein zurücklassen wollte. Sie wurden in aller Stille beigesetzt, aber als Eysteinn anfing, bei dir zu arbeiten, sprach sich die Geschichte schnell herum. Zumindest in Polizeikreisen. Ich hab irgendwann letztes Jahr davon gehört, als du ihn als Mittelsmann zwischen den Behörden zu uns geschickt hast.«
»Ist dir an dieser Geschichte nichts aufgefallen?«, fragte Elín.
»Nein, kann ich nicht sagen. Der Mann tat mir natürlich leid. Es muss schrecklich sein, seine Eltern tot aufzufinden, selbst wenn sie nicht mehr die Jüngsten sind.«
»Das hab ich damals auch gesagt«, sagte Elín. »Ich fand es traurig und habe Eysteinn dafür bewundert, wie gut er die Sache verarbeiten konnte. Aber dann ist mir die Geschichte wieder eingefallen, als Freyja starb. Ob sie nun seine Geliebte war oder nicht – es war ein merkwürdiger Zufall, dass sie dieselbe Methode gewählt hatte, um sich das Leben zu nehmen. Eysteinns Eltern wurden in ihrem Auto in der Garage vor ihrem Haus, einem Wohnblock in der Skúlagata, gefunden. Eysteinn wohnt jetzt dort. Sie haben die Abgase mit einem Staubsaugerschlauch in den Wagen geleitet.«
»Hast du ihn darauf angesprochen?«
»Nein. Es ist mir erst aufgefallen, als ich die Sache mit den Zeugnissen entdeckt habe. Da war ich wie vom Blitz getroffen. Ich bin mir hundertprozentig sicher, dass er in beiden Fällen der Täter ist. Aus den Obduktionsberichten geht hervor, dass sein Vater Prostatakrebs im Anfangsstadium hatte mit guten Chancen auf Heilung. Und bei der Mutter war überhaupt nicht die Rede von Alzheimer. Sie hat auch keine Medikamente eingenommen, die bei dieser Krankheit normalerweise verschrieben werden. Da ist mir klar geworden, dass dieser Mann Freyja
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