Wallander 04 - Der Mann, der lächelte
der Mann ein Fremdling, der eine Windjacke und eine Sportmütze trug, die für seinen Kopf eine Nummer zu klein zu sein schien. Dann stieg die leise Ahnung in ihm auf, daß er den Mann kannte. Aber erst als er sich von dem umgestürzten Boot erhoben hatte und der Mann dicht herangekommen war, sah er, mit wem er es zu tun hatte. Sie begrüßten sich, Wallander mit verwundertem Gesicht. Wie war sein Aufenthaltsort bekanntgeworden? Schnell versuchte er sich zu erinnern, wann er Sten Torstensson zuletzt getroffen hatte. Es mußte während einer Verhandlung in jenem schicksalhaften Frühling gewesen sein.
»Ich habe dich gestern schon in der Pension gesucht«, sagte Sten Torstensson. »Ich will dich natürlich nicht stören. Aber ich muß mit dir reden.«
Früher war ich Polizist und er Anwalt, dachte Wallander, sonst nichts. Wir hatten, jeder auf seine Weise, mit den Verdächtigen zu tun; ab und zu, aber äußerst selten, stritten wir uns, ob eine Verhaftung gerechtfertigt war oder nicht. Nähergekommen sind wir uns in der schweren Zeit, als er mich bei der Scheidung von Mona vertrat. Eines Tages merkten wir, daß etwas vorging, was wie der Beginn einer Freundschaft aussah. Freundschaft entsteht ja oft ganz unerwartet, wie ein Wunder. Und Freundschaft ist ein Wunder, das habe ich im Leben gelernt. Er hat mich eingeladen, am Wochenende mit ihm zum Segeln zu gehen. Es stürmte fürchterlich, seitdem mag ich nicht einmal mehr daran denken, an Bord eines Segelboots zu kommen. Danach haben wir uns in gewissen Abständen getroffen, nicht allzuoft. Und nun hat er mich aufgespürt und will mit mir reden.
»Ich habe gehört, daß jemand nach mir gefragt hat«, sagte Wallander. »Wie, zum Teufel, hast du mich hier aufgetrieben?«
Er merkte, daß er den Unmut schlecht verbergen konnte, in seinem durch Meer und Sanddünen gesicherten Refugium entdeckt worden zu sein.
»Du kennst mich«, sagte Sten Torstensson. »Ich bin keiner, |26| der gern stört. Meine Sekretärin behauptet, ich hätte ab und zu sogar Angst, mich selbst zu belästigen, was immer sie damit meint. Aber ich habe deine Schwester in Stockholm angerufen. Besser gesagt, ich habe Kontakt zu deinem Vater aufgenommen, der mir ihre Nummer gab. Sie kannte den Namen und die Lage der Pension. Ich fuhr her. Heute nacht habe ich in dem Hotel oben am Kunstmuseum geschlafen.«
Sie begannen am Strand entlangzulaufen. Die Frau, die ständig ihren Hund ausführte, war stehengeblieben und schaute zu ihnen hinüber. Wallander vermutete, daß sie sich über seinen Besucher wunderte. Sie gingen schweigend, Wallander wartete. Es war ein ungewohntes Gefühl, jemanden neben sich zu haben.
»Ich brauche deine Hilfe«, begann Sten Torstensson schließlich, »als Freund und als Polizist.«
»Als Freund«, entgegnete Wallander. »Wenn ich kann. Was ich bezweifle. Aber nicht als Polizist.«
»Ich weiß, daß du immer noch krank geschrieben bist.«
»Mehr als das. Du bist der erste, der erfährt, daß ich den Dienst quittieren werde.«
Sten Torstensson blieb stehen.
»Es ist, wie es ist«, sagte Wallander. »Aber erzähl mir lieber, weshalb du gekommen bist.«
»Mein Vater ist tot.«
Wallander kannte den Mann; auch er war Anwalt, war jedoch nur selten als Verteidiger in Strafsachen aufgetreten. Soweit sich Wallander erinnern konnte, hatte er sich mit Wirtschaftsberatung befaßt. Er überlegte, wie alt er gewesen sein mochte. Vielleicht siebzig; da waren andere längst tot.
»Er ist vor einigen Wochen bei einem Autounfall ums Leben gekommen«, sagte Sten Torstensson. »Südlich von Brösarps Backar.«
»Das tut mir sehr leid. Wie ist es passiert?«
»Das ist ja die Frage. Deshalb bin ich hier.«
Wallander sah ihn verwundert an.
»Es ist kalt«, meinte Sten Torstensson. »Im Kunstmuseum kann man Kaffee trinken. Ich habe den Wagen hier.«
|27| Wallander nickte. Das Fahrrad ragte aus dem Kofferraum, als sie zwischen den Dünen hindurchfuhren. Im Café des Kunstmuseums saßen so früh am Morgen nur wenige Leute. Das Mädchen am Serviertisch summte eine Melodie, die Wallander zu seiner Verwunderung von einer der gerade gekauften Kassetten kannte.
»Es war ein Abend«, fuhr Sten Torstensson fort, »der des 11. Oktober, um genau zu sein. Papa hatte einen unserer wichtigsten Klienten besucht. Dem Polizeibericht zufolge war er zu schnell gefahren und hatte die Kontrolle verloren. Der Wagen überschlug sich, und er starb.«
»Das passiert schnell«, sagte Wallander. »Eine Sekunde
Weitere Kostenlose Bücher