Wallander 09 - Der Feind im Schatten
tauchte er nicht auf. Auch später ließ er nie mehr etwas von sich hören. Wallander fragte sich zuweilen, worüber Atkins und Håkan von Enke sich bei all ihren Treffen unterhalten hatten. Er würde es nie erfahren.
Etwas hätte er Håkan und Louise gern noch gefragt, wäre er dazu gekommen. Warum war Håkans Schreibtischschublade in Unordnung gewesen? Hatte er geplant, für den Fall einer erzwungenen Flucht nach Kambodscha zu reisen? Und warum hatte Louise zweihunderttausend Kronen von ihrem Konto abgehoben? Er hatte kein Geld gefunden, als die Wohnung in Stockholm geräumt wurde. Das Geld war verschwunden, es gab auch dafür keine Erklärung.
Die Toten hatten ihre Geheimnisse mit ins Grab genommen. Auch Sten Nordlanders Entscheidung, Håkan von Enke und sich selbst zu töten, sollte ihm für immer ein Rätsel bleiben.
Manchmal meinte er zu verstehen. Doch ebenso oft war es ihm unbegreiflich.
Ende November, als Wallander einen kurzen Lehrgang in Stockholm absolvierte, mietete er ein Auto und fuhr zum Niklasgård hinaus. Hans, der die Reise zu seiner unbekannten Schwester noch nicht gewagt hatte, begleitete ihn. Es war ein ergreifender Augenblick für Wallander, als er Hans an Signes Bett sah. Er dachte daran, dass Håkan seine Tochter häufig besucht hatte. Ihr vertraute er, dachte Wallander. Und wagte es, ihr seine geheimsten Papiere anzuvertrauen.
Lange grübelte er darüber nach, ob er dem, was er zusammengetragen hatte, einen Titel voranstellen sollte. Schließlich entschloss er sich, lediglich ein weißes Papier als Umschlag zu benutzen. Es waren insgesamt zweihundertzwölf Seiten geworden. Ein letztes Mal blätterte er sie durch, hielt hier und da inne, um zu überprüfen, ob er das Richtige geschrieben hatte. Er nahm trotz allem an, dass er der Wahrheit so nahe gekommen war wie möglich.
Er beschloss, das Material an Ytterberg zu schicken. Er würde es nicht unter seinem Namen aufgeben, sondern an seine Schwester Kristina senden und sie bitten, es in Stockholm einzuwerfen. Ytterberg würde sich natürlich ausrechnen können, dass Wallander der Absender war, aber er würde es nicht ohne weiteres beweisen können.
Ytterberg ist ein kluger Mann, dachte Wallander. Er wird den bestmöglichen Gebrauch machen von dem, was ich geschrieben habe. Er ist auch in der Lage, sich vorzustellen, warum ich vorziehe, es ihm anonym zu schicken.
Aber Wallander sah auch, dass selbst Ytterberg gegen eine Wand anrennen könnte, die nicht nachgab. Immer noch galten die USA vielen Schweden als Heilsbringer. Ein Europa ohne die USA wäre nahezu wehrlos. Vielleicht würde niemand von der Wahrheit, in deren Besitz Wallander sich wähnte, etwas wissen wollen.
Wallander dachte an die schwedischen Soldaten, die nach Afghanistan entsandt worden waren. Dies wäre nie geschehen, hätten die USA es nicht verlangt. Nicht offen, aber im Geheimen, genauso, wie sich ihre U-Boote mit dem Einverständnis der schwedischen Marine und schwedischer Politiker Anfang der 1980er Jahre in unseren Gewässern versteckt hatten. Oder wie CIA-Männer am 18. Dezember 2001 zwei terrorverdächtige Ägypter von schwedischem Territorium holen und unter äußerst demütigenden Umständen in ihre Heimat verfrachten durften, zu Gefängnis und Folter. Er konnte sich sogar vorstellen, dass ein enttarnter Håkan von Enke als Held und nicht als verachtenswerter Landesverräter betrachtet werden würde.
Nichts, dachte er, kann ganz sicher sein. Weder wie diese Ereignisse gedeutet werden, noch was in Zukunft aus meinem Leben wird.
Er hatte seinen Schlusspunkt gesetzt, unabhängig davon, ob es ein provisorischer war oder nicht.
Der Maitag war klar, aber kühl. Gegen Mittag machte er einen langen Spaziergang mit Jussi, der wieder gesund zu sein schien. Als Linda mit Klara eintraf, aber ohne Hans, hatte Wallander das Haus geputzt und alle Papiere weggeräumt, die sie nicht sehen sollte. Klara war im Auto eingeschlafen. Wallander trug sie behutsam ins Haus und legte sie aufs Sofa. Sie in den Armen zu halten gab ihm stets das Gefühl, dass Linda in neuer Gestalt zurückgekommen war.
Sie setzten sich an den Küchentisch und tranken Kaffee.
»Hast du geputzt?«, fragte Linda.
»Den ganzen Tag.«
Sie lachte und schüttelte den Kopf. Dann wurde sie plötzlich wieder ernst. Wallander wusste, dass alle Probleme, mit denen Hans sich herumschlug, natürlich auch sie aufgewühlt hatten. »Ich will wieder anfangen zu arbeiten«, sagtesie. »Ich halte es langsam
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