Wallander 10 - Wallanders erster Fall
chaotisch gewesen.
Er stand auf und sah auf die Uhr. Viertel vor vier. Er hatte mehr als zwei Stunden geschlafen. Er setzte sich an den Küchentisch und schrieb eine Einkaufsliste. Mona hatte versprochen, aus Kopenhagen etwas zu trinken mitzubringen. Er steckte den Zettel ein, zog die Jacke an und machte die Tür hinter sich zu.
|23| Dann blieb er im Halbdunkel stehen. Die Tür zur Nachbarwohnung war angelehnt. Das wunderte Wallander, weil der Mann, der dort wohnte, sehr scheu war und erst im Mai ein zusätzliches Schloß hatte einbauen lassen. Wallander überlegte, ob er die Sache auf sich beruhen lassen sollte, entschied sich dann aber, anzuklopfen. Der Mann, der allein in der Wohnung lebte, war ein pensionierter Seemann namens Artur Hålén. Er hatte schon im Haus gewohnt, als Wallander eingezogen war. Sie grüßten sich und führten manchmal kurze, nichtssagende Gespräche, wenn sie sich auf der Treppe trafen, aber mehr nicht. Wallander hatte nie gehört oder gesehen, daß Hålén Besuch bekam. Morgens hörte er Radio und abends machte er den Fernseher an. Doch um zehn Uhr war es immer schon still. Wallander hatte ein paarmal darüber nachgedacht, wieviel Hålén wohl von Wallanders Damenbesuchen mitbekam. Von den hitzigen nächtlichen Geräuschen. Aber er hatte ihn nie gefragt.
Wallander klopfte noch einmal. Keine Antwort. Dann öffnete er die Tür und rief. Es war still. Zögernd betrat er den Flur. Es roch muffig. Ein abgestandener Altmännergeruch. Wallander rief noch einmal. Er muß vergessen haben abzuschließen, als er hinausgegangen ist, dachte Wallander. Immerhin ist er über siebzig Jahre alt. Vielleicht ist er vergeßlich geworden.
Wallander warf einen Blick in die Küche. Ein zerknüllter Tippzettel lag auf dem Wachstuch neben einer Kaffeetasse. Dann zog er den Vorhang zur Seite, der die Küche vom Zimmer trennte. Er zuckte zusammen. Hålén lag auf dem Fußboden. Das weiße Hemd war blutverschmiert. Neben der einen Hand lag ein Revolver.
Der Knall, dachte Wallander. Ich habe einen Schuß gehört. Er spürte, wie ihm schlecht wurde. Er hatte schon viele tote Menschen gesehen. Ertrunkene und Erhängte. Menschen, die verbrannt oder bei Verkehrsunfällen bis zur Unkenntlichkeit entstellt worden waren. Aber noch immer hatte er sich nicht daran gewöhnt.
Er blickte sich im Zimmer um. Håléns Wohnung war spiegelverkehrt zu seiner eigenen. Die Möbel machten einen ärmlichen Eindruck. Keine Blumen, kein Zierat. Das Bett war ungemacht.
Wallander betrachtete den Körper. Hålén mußte sich in die Brust geschossen haben. Er war tot. Wallander brauchte ihm nicht den |24| Puls zu fühlen, um das feststellen zu können. Er kehrte hastig in seine eigene Wohnung zurück und rief die Polizei an. Sagte, wer er war, und berichtete, was passiert war. Dann ging er auf die Straße und wartete auf die Streifenwagen.
Polizei und Krankenwagen trafen fast gleichzeitig ein. Wallander nickte den Männern zu, als sie aus den Fahrzeugen stiegen. Er kannte sie alle.
»Was hast du denn hier gefunden?« fragte einer der Streifenpolizisten. Er hieß Sven Svensson, stammte aus Landskrona und wurde nie anders als Stachel genannt, seit er einmal bei der Jagd nach einem Einbrecher in eine Dornenhecke gefallen war und anschließend eine Anzahl von Stacheln im Unterleib gehabt hatte.
»Mein Nachbar«, erwiderte Wallander. »Er hat sich erschossen.« »Hemberg ist schon auf dem Weg«, sagte Stachel. »Die Kriminalpolizei soll sich das einmal ansehen.«
Wallander nickte. Er wußte Bescheid. Todesfälle in der eigenen Wohnung, wie natürlich sie auch wirken mochten, mußten stets von der Polizei untersucht werden.
Hemberg war ein Mann mit einem gewissen Ruf. Einem nicht ausschließlich positiven. Er konnte leicht aufbrausen und gegenüber seinen Mitarbeitern sehr unangenehm werden. Aber gleichzeitig war er in seinem Beruf eine solche Kapazität, daß niemand etwas gegen ihn zu sagen wagte.
Wallander merkte, daß er nervös wurde. Hatte er einen Fehler gemacht? Hemberg würde es augenblicklich bemerken und darauf herumhacken. Und es war Kriminalkommissar Hemberg, bei dem Wallander arbeiten würde, sobald seine Versetzung beschlossen war.
Wallander blieb auf der Straße stehen und wartete.
Ein dunkler Volvo hielt am Straßenrand. Hemberg stieg aus. Er war allein. Es dauerte ein paar Sekunden, bis er Wallander erkannte. »Was machst du denn hier, zum Teufel?« fragte er.
»Ich wohne hier«, erwiderte Wallander. »Es ist mein
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