Wallander 10 - Wallanders erster Fall
bestellte Kaffee und ein belegtes Brot, blätterte in
Arbetet
und
Sydsvenskan.
In beiden Zeitungen gab es Leserbriefe von Menschen, die das Verhalten der Polizei im Zusammenhang mit den Demonstrationen lobten oder tadelten. Wallander überblätterte sie schnell. Er brachte es nicht über sich, sie zu lesen. Er hoffte, in Zukunft um Einsätze wie diesen gegen Demonstranten herumzukommen. Er wollte zur Kriminalpolizei. Es war von Anfang an sein Ziel gewesen, und er hatte nie ein Geheimnis daraus gemacht. In wenigen Monaten würde er in einer der Abteilungen anfangen, die sich mit der Aufklärung von Gewaltverbrechen und schwerwiegenden Sittlichkeitsverbrechen beschäftigten.
Plötzlich stand jemand vor ihm. Wallander hatte die Kaffeetasse in der Hand. Er blickte auf. Es war ein Mädchen, um die siebzehn, mit langen Haaren. Sie war sehr blaß und starrte ihn wütend an. Dann beugte sie sich vor, so daß die Haare ihr ins Gesicht fielen, und hielt ihm ihren Nacken hin. »Hier«, sagte sie, »hier hast du mich geschlagen.«
Wallander stellte die Tasse ab. Er verstand gar nichts. Sie hatte sich wieder aufgerichtet.
|19| »Ich verstehe nicht richtig, was du meinst«, sagte Wallander.
»Du bist doch Polizist, oder?«
»Ja.«
»Also warst du dabei und hast auf uns Demonstranten eingeschlagen.«
Jetzt verstand Wallander. Sie hatte ihn wiedererkannt, obwohl er keine Uniform trug.
»Ich habe niemanden geschlagen«, erwiderte er.
»Spielt es denn eine Rolle, wer den Schlagstock in der Hand hat? Du warst da. Und du hast auf uns eingeschlagen.«
»Ihr habt die Demonstrationsvorschriften übertreten«, erwiderte Wallander und hörte selbst, wie hoffnungslos seine Worte klangen.
»Ich finde alle Bullen zum Kotzen«, sagte sie. »Ich hatte eigentlich vor, hier Kaffee zu trinken, aber jetzt gehe ich lieber woandershin.«
Dann war sie weg. Die Serviererin hinter der Theke betrachtete Wallander streng. Als sei er schuld daran, daß ihr ein Gast entging.
Wallander bezahlte und verließ das Café. Das belegte Brot ließ er halb gegessen liegen. Die Begegnung mit dem Mädchen hatte ihn verunsichert. Plötzlich hatte er das Gefühl, daß alle auf der Straße ihn anstarrten. Als trüge er seine Uniform. Nicht die dunkelblaue Hose, das helle Hemd und die grüne Jacke.
Ich muß von der Straße weg, dachte er. In ein Büro. In die Sitzungen der Ermittlungsgruppen. Direkt zu den Tatorten. Nur keine Demonstrationen mehr. Sonst lasse ich mich krank schreiben.
Er ging schneller. Überlegte, ob er den Bus hinaus nach Rosengård nehmen sollte. Sagte sich dann aber, daß er Bewegung brauchte. Gerade jetzt wollte er in erster Linie unsichtbar sein und mit niemandem zusammentreffen, den er kannte. Aber natürlich lief er vor dem Volkspark seinem Vater direkt in die Arme. Der schleppte sich mit einem seiner Bilder ab, das in braunes Papier eingeschlagen war. Wallander hatte auf den Boden gestarrt und ihn so spät entdeckt, daß er sich nicht mehr unbemerkt abwenden konnte. Der Vater trug eine eigenartige Mütze und einen dicken Mantel. Darunter eine Art Trainingsanzug und Turnschuhe ohne |20| Strümpfe. Wallander stöhnte innerlich. Er sieht aus wie ein Landstreicher, dachte er. Warum kann er sich nicht zumindest anständig anziehen?
Der Vater stellte das Bild ab und stöhnte. »Warum trägst du keine Uniform?« fragte er, ohne zu grüßen. »Bist du nicht mehr bei der Polizei?«
»Ich habe heute frei.«
»Ich dachte, Polizisten sind immer im Dienst. Um uns vor allem Bösen zu bewahren.«
Wallander konnte seine Wut gerade noch beherrschen. »Warum trägst du einen Wintermantel?« fragte er statt dessen. »Wir haben zwanzig Grad Wärme.«
»Schon möglich«, erwiderte der Vater, »aber ich halte mich dadurch gesund und frisch, daß ich viel schwitze. Das solltest du auch tun.«
»Man kann doch nicht im Sommer mit einem Wintermantel herumlaufen.«
»Na, dann mußt du wohl krank werden.«
»Ich bin doch nie krank.«
»Noch nicht. Aber das kommt.«
»Weißt du eigentlich, wie du aussiehst?«
»Ich pflege meine Zeit nicht damit zu vergeuden, daß ich mich im Spiegel betrachte.«
»Du kannst doch im Juni keine Wintermütze tragen!«
»Versuch nur, sie mir abzunehmen, wenn du es wagst. Dann zeige ich dich wegen Mißhandlung an! Ich nehme im übrigen an, daß du auch dabeigewesen bist und Demonstranten verprügelt hast.«
Jetzt er nicht auch noch, dachte Wallander. Das darf doch nicht wahr sein. Er hat sich doch nie für politische
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