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Walled Orchard 01: Der Ziegenchor

Walled Orchard 01: Der Ziegenchor

Titel: Walled Orchard 01: Der Ziegenchor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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– es gab da einen Posten mit einem wirklich schwindel-erregenden Betrag, den Perikles den Athenern wohl kaum hätte erklären können, ohne mit einem Becher besten Schierlings zu enden. Zum fraglichen Zeitpunkt machte er sich furchtbare Sorgen darum und sprach selbst im Schlaf davon.
    Alkibiades hat jedenfalls immer gern seine vollen sechs Stunden geschlafen oder gern auch noch länger, und er 409
    empfand diese nächtlichen Ruhestörungen als ausgesprochen störend. Eines Nachts, als Perikles dalag und murmelte: »Ich muß einen Weg finden, meine Ausgaben zu begründen… Ich muß einen Weg finden, meine Ausgaben zu begründen…«, schüttelte Alkibiades ihn an den Schultern und weckte ihn auf.
    »Du betrachtest das aus einem völlig falschen Blickwinkel«, sagte er. »Was du finden mußt, ist ein Weg, deine Ausgaben nicht zu begründen.«
    Perikles entgegnete irgend etwas Denkwürdiges, wie:
    »Halt die Klappe und leg dich schlafen!«, doch als er am nächsten Morgen aufwachte, hatte er einen phantastischen Einfall. Er führte die gesamte Summe unter ›notwendige Auslagen‹ auf und beschwor eine schwerwiegende internationale Krise herauf, um die Aufmerksamkeit abzulenken. Auf diese Weise kam Perikles nicht nur mit dem Leben davon, sondern auch mit untadeligem Ruf, und er war in der Lage, uns durch den ersten Abschnitt des Kriegs zu führen.
    Diese Geschichte ist für Alkibiades typisch. Erstens weil er begriffen hat, daß ein unlösbares Problem nicht mit Gewalt zu lösen ist, sondern daß man es umgehen und die Finger davonlassen muß; zweitens weil er seinen glänzenden Verstand nicht zum Wohl der Stadt einsetzte, sondern so, daß er sein volles Pensum Schlaf bekam; drittens weil er mit dem führenden Mann seiner Zeit im Bett war. Ich gebe zu, daß ich Alkibiades nie gemocht habe, und der Grund, warum ich ihn nicht leiden kann, ist derselbe Grund, weshalb ihn alle anderen innig lieben: weil er der bestaussehende Mann in Athen ist. Ich neige zu 410
    Vorbehalten gegenüber gutaussehenden Menschen. Die Athener glauben, wie ich schon berichtet habe, daß die Schönen gut und nur die Guten schön sind.
    Alkibiades muß den Göttern gedankt haben, daß der einzige Mensch, der bereit war, sich ihm entgegenzustellen, Nikias war, Sohn des Nikeratos, weil selbst dessen bester Freund (wenn er überhaupt einen hatte) nicht behauptet hätte, Nikias sei ein schönes Geschöpf, insbesondere dann nicht, wenn er gerade Nierenbeschwerden hatte. Ich glaube, anfangs war Nikias genauso wie alle anderen für die Idee, doch dann entdeckte er in dem Projekt ein paar Widersprüche, wie ich sie bereits kurz umrissen habe, und empfand es als seine Pflicht, diese aufzuzeigen. Wenn Nikias sprach, hörten alle zu, obwohl man allgemein darin übereinstimmte, daß er der langweiligste und niederschmetterndste Redner Athens war. Ich nehme an, man hörte ihm in der Ansicht zu, daß etwas so gräßlich Schmeckendes einem guttun müsse wie Medizin. Aber egal, aus welchem Grund: Nikias sprach, und man hörte ihm zu, und Alkibiades machte sich allmählich Sorgen. Sie wissen ja, wie die Athener sind, leben sie doch in einer Demokratie: Je mehr sie einen Menschen lieben, desto mehr wünschen sie, ihn am Boden zerstört zu sehen. Alkibiades hegte keineswegs den Wunsch, sich derselben Behandlung unterziehen zu müssen, wie man sie Themistokles, Perikles und Kleon hatte angedeihen lassen. Er wußte auch von Nikias’
    Pflichtbesessenheit. Wenn Nikias irgendwie dazu gedrängt werden könnte, sich ihm als zweiter Führer des Sizilienprojekts anzuschließen, und zwar mit irgendeinem 411
    unbedeutenden Menschen als drittem Partner, um Nikias immer überstimmen zu können, dann wäre damit aller Widerstand gebrochen; mit Nikias in der Gruppe – dem sorgfältigen, peinlich genauen, gewissenhaften und vor allem schreiend dummen Nikias – mußten sich selbst die ängstlichsten und vorsichtigsten Leute völlig sicher fühlen.
    Folglich wurde Nikias zum zweiten Heerführer ernannt; und er geriet in Panik. Als einzige Möglichkeit, um die Athener vom Sizilienprojekt abzuhalten, fiel ihm ein, auf seinen Ruf zu vertrauen und ihnen eine gespenstisch übertriebene Veranschlagung der erforderlichen Mittel zu geben, wenn das Vorhaben völlig sicher sein sollte, um so die Menschen abzuschrecken. Also machte er eine ellenlange Aufstellung fertig und las sie vor. Das Projekt werde Unmengen von Schiffen benötigen, sagte er, wirklich jedes Schiff, das wir hätten, und

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