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Walled Orchard 01: Der Ziegenchor

Walled Orchard 01: Der Ziegenchor

Titel: Walled Orchard 01: Der Ziegenchor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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    stilvoll bis zum letzten Atemzug. Sein Platz war nun der Reihe nach von einer Anzahl nicht ganz so gescheiter Athener eingenommen worden, wobei insbesondere der ruhmreiche, aber abgrundtief dumme Kimon hervorstach, der allen Ernstes geglaubt hatte, der Zweck des Ersten Attischen Seebunds bestehe im Kampf gegen die Perser, bis endlich der berühmte Perikles an die Macht gelangt war, als sich gerade das Verhältnis zwischen Athen und Sparta immer mehr zugespitzt hatte.
    Genau dieser Perikles war es auch, der mir die erste Rüstung schenkte. Damals war es nämlich Gesetz, daß der Staat dem minderjährigen Sohn eines Kriegers, der im Einsatz gefallen war, kostenlos mit einer Rüstung ausstattete, was angesichts des Bronzepreises sowohl eine sehr großzügige als auch äußerst taktvolle Geste war. Aus diesem Anlaß fand regelmäßig auf einem der Friedhöfe Athens eine Zeremonie statt, bei der der Heerführer des jeweiligen Jahres eine zu Herzen gehende Rede hielt und dann den betreffenden Minderjährigen Brustpanzer, Schild und Helm überreichte. Früher wurden die Heerführer noch vom Volk gewählt, und natürlich hing auch Perikles’
    Macht ganz davon ab, jedes Jahr in seinem Amt bestätigt zu werden – es war das einzige hohe Staatsamt, das 77
    zumindest noch Spuren wirklicher Macht aufwies. Deshalb war es nur logisch, daß er bei der Verleihung der Rüstungen soviel wie möglich aus seiner Rede machen wollte, da sich fast die gesamte Stadtbevölkerung versammelt hatte. Als angehender Jungdramatiker war ich natürlich furchtbar aufgeregt und blickte dem bevorstehenden Vortrag mit höchsten Erwartungen entgegen, zumal ich obendrein auch noch direkt vor dem großen Staatsmann sitzen sollte; eine ideale Position, um mir sein Gehabe und seine persönlichen Eigenheiten einzuprägen, die ich später liebevoll in dramatischer Form wiedergeben wollte.
    Erinnern Sie sich noch an meine kurze Erwähnung des kleinen Feldherrn, der diese unglaublich langweilige und bombastische Geschichte des Kriegs geschrieben hat und glaubte, er hätte die Pest gehabt? Vor kurzem geriet mir zufällig ein Exemplar des ersten Teils dieser Niederschrift in die Hände. Ich hatte gerade etwas Käse eingekauft, der vom Verkäufer in das unvergängliche Geschichtswerk eingewickelt worden war, was ein bezeichnendes Licht auf das ausgeprägte ästhetische Urteilsvermögen unserer attischen Käsehändler wirft. Bevor ich das Werk ins Feuer warf, schlug ich einiges darin nach und stieß zu meiner Überraschung auch auf die Rede, die an jenem Tag von Perikles gehalten worden war. Allerdings hatte der kleine Feldherr die Rede reichlich aufgebauscht und sie als günstige Gelegenheit benutzt, alles das einzufügen, was Perikles seiner Meinung nach gesagt hätte, wenn dieser nur halb so klug wie er selbst gewesen wäre. Am Ende hatte diese Überarbeitung überhaupt nichts mehr mit dem zu tun, 78
    was der große Feldherr damals wirklich gesagt hat.
    Schließlich sollte ich es ja wohl wissen, zumal ich in der ersten Reihe gesessen und die gesamte Rede aus den oben genannten Gründen mit größtmöglicher Aufmerksamkeit mitverfolgt hatte. Aber mein Gedächtnis, das muß ich nochmals wiederholen, ist natürlich nicht mehr das, was es einmal war. Trotzdem sollte ich meiner Ansicht nach wenigstens ein paar Zeilen davon niederschreiben, was mir noch von Perikles’ Rede in Erinnerung geblieben ist, um die Sache ein für allemal klarzustellen. Sollte dann jemand, der ebenfalls bei Perikles’ Rede zugegen war, meine Aufzeichnung lesen, kann er ja entweder ihre Richtigkeit bestätigen oder unter seinen Freunden herumerzählen, daß Eupolis von Pallene ein alter Schwachkopf ist, was übrigens durchaus der Wahrheit entsprechen könnte.
    Ich erinnere mich noch, daß wir alle zum öffentlichen Friedhof hinausgingen, der in Wirklichkeit außerhalb der Stadtmauern liegt, und es für die Jahreszeit ungewöhnlich warm war. Mir hatte man meine besten Kleidungsstücke angezogen, und obendrein war mir irgendein übelriechendes, süßliches Fett in die Haare geschmiert worden.
    Ich fühlte mich in meiner Haut ausgesprochen unwohl –
    durch das Fett auf dem Kopf schien mein Gehirn regelrecht zu schmoren –, und die ganze Prozedur schien mit den normalen Vorgängen auf einem Friedhof nur wenig zu tun zu haben. Zwar waren dort viele Frauen, die laut klagten und sich die Fingernägel in die Wangen bohrten, bis sie bluteten – so, wie sich Frauen auf Beerdigungen eben

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