Walter Ulbricht (German Edition)
Institutionen und deren politisches Personal natürlich ausgenommen: Sie waren und sind stets ohne Fehl und Tadel. So jedenfalls ist die gängige Lesart des vom Deutschen Bundestag verordneten Geschichtsbildes über die DDR. 4
Wenn es dieser Geschichtsinterpretation dient, wird die tatsächliche historische Rolle der DDR sogar überhöht. Aus dem kleineren deutschen Staat, von Adenauer abschätzig als »Soffjetzone« gescholten, wird nachträglich eine Übermacht konstruiert, die angeblich diktiert habe, was Moskau zu tun oder zu lassen habe. So soll Ulbricht Stalin zur Gründung der »ungeliebten DDR« sowie zum Aufbau des Sozialismus genötigt und Chruschtschow zum Mauerbau gezwungen haben. Die vermeintliche Ostberliner Vormundschaft wurde sogar gerichtsnotorisch. Das Bundesverfassungsgericht stellte wahrheitswidrig fest, der Einfluss der UdSSR auf die DDR-Grenzsicherung »sei eher gering gewesen«. 5
2003 ermittelte ein Fernsehsender mit Hilfe seiner Zuschauer den »größten Deutschen«. Konrad Adenauer soll es sein. Karl Marx belegte hinter Martin Luther den dritten Platz. Die Ostdeutschen hätten in ihrer Mehrheit, so hieß es, Marx sogar auf Platz 1 gesehen, was für deren realistisches Geschichtsverständnis spricht. Wenn Adenauer Spitzenreiter war, sollte man ruhig auch an eine Feststellung Sebastian Haffners aus dem Jahre 1966 erinnern. Der bürgerliche Publizist und Historiker ging der Frage nach, warum Ulbricht nach Bismarck und neben Adenauer zum erfolgreichsten deutschen Politiker wurde?
Dass Adenauer und Ulbricht von kundigen Personen in einem Atemzug genannt wurden, halte ich für bemerkenswert.
Allerdings: Sie waren nie politische Brüder. Antipoden waren sie. Erbitterte Widersacher. Jeder im Interesse seiner Klasse.
Als Adenauer schon im Dienst des Deutschen Kaiserreiches stand, schloss sich der junge Sozialdemokrat Ulbricht dem politischen Credo von August Bebel und Wilhelm Liebknecht an: »Diesem System keinen Mann und keinen Groschen.« Als Adenauer nach dem Ersten Weltkrieg separatistische Gedanken über die Bildung eines westdeutschen Staates im Rheinland umtrieben, stellte sich Ulbricht auf die Seite von Karl Liebknecht, der am 9. November 1918 vom Balkon des Berliner Schlosses aus die sozialistische Republik proklamierte. Dieser Balkon wurde 1964 in das Staatsratsgebäude der DDR integriert, den Amtssitz des DDR-Staatsoberhauptes.
Bei meinen Recherchen zu diesem Buch stieß ich auf einen Spitzelbericht eines Landesjägerkorps aus Leipzig vom 27. Mai 1919. Darin heißt es, dass »der Kommunist Ulbricht, Mitarbeiter der Roten Fahne , überwacht werden« müsse. Bei besonderen Feststellungen: »Sofort Meldung.« 6 Ulbricht blieb über Jahrzehnte der »vaterlandslose Geselle« – wie Sozialisten, Sozialdemokraten und Kommunisten einst genannt wurden. Er wurde der Gehetzte, der Verfolgte, der Inhaftierte, der Geächtete und später außer Landes Getriebene. Zusammen mit Ernst Thälmann, Wilhelm Pieck und anderen stritt er im Deutschen Reichstag für die sozialen Interessen der Arbeitenden und gegen die drohende faschistische Gefahr. Der öffentliche Disput des Berliner Kommunistenchefs Ulbricht mit dem Berliner Nazigauleiter Goebbels im Berliner Saalbau Friedrichshain bewies den Mut des gebürtigen Leipzigers im antifaschistischen Kampf.
Als die Nazis im März 1933 den 81 Reichstagsabgeordneten der KPD, darunter Walter Ulbricht, das Mandat entzogen, erklärte in Köln Adenauers Zentrumsfraktion zu jenem Ermächtigungsgesetz: »Die vom Herrn Reichspräsidenten berufene, durch den erfolgreichen Verlauf der nationalen Revolution bestätigte Regierung darf nicht gefährdet werden, da sonst die Folgen unabsehbar sind. […] Wir begrüßen die Vernichtung des Kommunismus und die Bekämpfung des Marxismus.«
Als Ulbricht schon von Hitlers Schergen steckbrieflich gesucht wurde, schrieb Adenauer am 10. August 1934 an den preußischen Innenminister einen zehnseitigen Brief. Darin reklamierte er für sich, die NSDAP »immer durchaus korrekt behandelt« zu haben. Er habe sich einer Anordnung des preußischen Staatsministeriums widersetzt, nationalsozialistische Beamte »zwecks Disziplinierung« namhaft zu machen, da er eine solche Maßregelung »für unberechtigt und für ungerecht hielt«. Er habe bereits 1932 erklärt, dass »eine so große Partei wie die NSDAP unbedingt führend in der Regierung vertreten sein müsse«.
Auch wenn Adenauer später einige Male kurzzeitig interniert wurde und die
Weitere Kostenlose Bücher