Wanderer, Kommst Du Nach Spa ... Großdruck
erscheinen konnte, während der Schmerz in meinem Kopf der Motor zu sein schien, der die Drehung verursachte; je mehr der Schmerz in
meinem Kopf anschwoll, um so heftiger drehten sich auch diese Finsternisse wie verschiedene Scheiben, deren Drehung sich überschnitt, bis alles wieder stillstand.
Sobald der Anfall vorüber war, tastete ich nach meinem Verband: mein Kopf kam mir sehr dick, sehr geschwollen vor in meinen Händen; ich spürte die harte, fast beulenartige Kruste geronnenen Blutes, fühlte auch die peinlich empfindliche Stelle, an der der Splitter sitzen mußte. Ich wußte jetzt, daß dieser Fremde dort tot war. Es gibt eine Art von Schweigen und Stummheit, die nichts mehr mit Schlaf, nichts mit Ohnmacht mehr zu tun hat, etwas unendlich Eisiges, Feindliches, Verächtliches, das mir im Dunkeln doppelt feindselig erschien.
Ich fand nun endlich den Kerzenrest und zündete ihn an. Das Licht war gelb und milde, es schien sich mit einer Art Bescheidenheit langsam auszubreiten und zur größten Möglichkeit seiner Flamme zu entwickeln, und als die Kerze ihren Radius vollendet hatte, sah ich den festgestampften Lehmboden, die bläulich gekalkten Wände, eine Bank, den erloschenen Ofen, vor dessen ausgeleierter Tür ein Haufen Asche lag.
Dann erst klebte ich die Kerze auf den Rand meiner Bahre fest, so daß das Zentrum ihres Scheins auf des Toten Gesicht fiel. Ich war nicht erstaunt, Drüng zu sehen. Eher war ich erstaunt über mein eigenes Nichterstaunen, denn ich hätte tief erschrocken sein müssen: fünf Jahre hatte ich Drüng nicht mehr gesehen, und auch damals nur flüchtig, kaum daß wir die notwendigsten Höflichkeiten miteinander getauscht hatten. Wir waren Schulkameraden gewesen, neun Jahre lang, aber zwischen uns hatte eine so tiefe, nicht feindselige, sondern gleichgültige Abneigung bestanden, daß wir in diesen neun Jahren insgesamt kaum eine Stunde miteinander gesprochen hatten.
Es war so unverkennbar Drüngs schmales Gesicht, seine spitze Nase, die nun steif und grünlich aus der knappen Ebene seines Gesichtes hervorstieß, seine geschlitzten, stets etwas gequollenen Augen, die nun eine fremde Hand schon geschlossen hatte; so eindeutig war es Drüngs Gesicht, daß es der Bestätigung nicht bedurft hätte, zu der ich nun mich über ihn beugte und zwischen dem Wulst der Decke den Zettel hervorsuchte, der mit einer weißlichen Schnur an einem Knopf seines Mantels befestigt war. Dort las ich im Kerzenschein: Drüng, Hubert, Obergefreiter, die Nummer eines
Regiments und in der Rubrik »Art der Verletzung«: mehrere Granatsplitter, Bauch. Unter diese Notiz hatte eine flinke akademische Hand Exitus geschrieben.
Drüng war also wirklich tot, oder hätte ich jemals an dem gezweifelt, was eine flinke, akademische Hand irgendwohin schrieb? Ich las noch einmal die Nummer des Regiments, die mir völlig ungeläufig war; dann nahm ich Drüng die Mütze ab, die seinem Gesicht mit ihrem schwarzen, höhnischen Schatten etwas Grausames gab, und ich erkannte nun sein dunkelblondes, stumpfes Haar, das manchmal im Wechsel der neun Jahre nahe vor meinen Augen gewesen war.
Ich saß ganz nahe neben der Kerze, die flackernd ihren Schein rundschaukeln ließ, während der stärkste Kern ihres gelben Lichtes immer Drüngs Gesicht hielt und die matteren Ausläufer Decke, Wand und Boden streiften. Ich saß Drüng so nahe, daß mein Atem seine fahle Haut streifte, auf der die Bartstoppeln häßlich und rötlich wucherten, und plötzlich sah ich zum ersten Male Drüngs Mund. Während mir seine übrige Erscheinung in der täglichen Begegnung vieler Jahre so bekannt geworden war, daß ich ihn – wohl ohne es zu wissen – auch unter vielen erkannt hätte, sah ich jetzt, daß ich seinen Mund nie betrachtet hatte; er war mir vollkommen fremd: fein und schmal, und in seinen festverkniffenen Winkeln saß noch immer der Schmerz, so lebendig, daß ich glaubte, mich getäuscht zu haben. Dieser Mund schien die mühsam verhaltenen Schreie des Schmerzes auch jetzt noch gewaltsam zurückzuhalten, um sie nicht aufquellen zu lassen wie einen roten Sprudel, der die Welt ersäufen würde.
Neben mir flackerte warm der Atem der Kerze, die immer wieder hochzuckte, immer wieder zurückgeschlagen zu werden schien, sich immer wieder langsam ausbreitete. Ich betrachtete Drüngs Gesicht jetzt, ohne ihn zu sehen. Ich sah ihn lebend, als mickrigen, schüchternen Sextaner, den schweren Ranzen auf den mageren Schultern, wie er frierend darauf
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