Wanderungen durch die Mark Brandenburg
nicht wenige: die Familie de Poincy war nicht mehr jenseits des Rheins, sie war jenseits des Ozeans zu Hause, seitdem der Großvater der jungen Dame das vom Schrecken regierte Frankreich Anno 1793 gemieden und nach Amerika flüchtend, erst in Kuba, dann in New Orleans sich niedergelassen hatte. Dort lebten sie jetzt in hohem Ansehen: der Name de Poincy war der Name einer Handelsfirma geworden. Selbstverständlich lag nicht hierin die Schwierigkeit, die Rohrs dachten niemals gering von bürgerlicher Hantierung, am wenigsten vom Großhandel, der mit eigenen Schiffen die Meere befährt, aber der Weg von der Dosse bis an den Mississipi war doch weit, und ein Rohrsches Herz hält fest an Wusterhausen und Trieplatz.
Dies waren die Schwierigkeiten. Die Liebe des jungen Paares indes, wie schon angedeutet, überwand sie. Moritz von Rohr trat in das Handelshaus seines Schwiegervaters ein, und nie wurde brieflich oder mündlich ein Wort laut, das darauf hingedeutet hätte, er habe die Trennung von Vaterland und Familie bereut. Kein Klagewort, aber auch kein rechtes Wort des Glücks! Die nationalen und konfessionellen Unterschiede ziehen eben eine tiefe Kluft, und der Beispiele sind wenige, wo die bloße Sympathie der Herzen stark genug gewesen wäre, diese Kluft zu überbrücken. Je feiner und durchgeistigter die Naturen sind, desto mehr tritt dieses Trennungselement hervor. Man liebt sich, aber man ist nicht eins, und jede Freude halbiert sich oder schwächt sich ab, weil sie nur einmal unter hundert Fällen auf neutralem Gebiet erblüht. Die Herzen stimmen, aber der Gegensatz der Geister klingt disharmonisch hinein. Auch das Glück Moritz von Rohrs und Urania von Poincys wurde getrübt oder trug wenigstens einen Schleier.
Zehn Jahre nach der Vermählung war dieser Schleier für die junge Frau zum Witwenschleier geworden. Moritz von Rohr glaubte sich akklimatisiert und unterließ es, im Sommer 1848 die Fieberluft New Orleans mit der gesunden Küstenluft am Mexikanischen Golf zu vertauschen. Er wurde vom Gelben Fieber befallen und erlag ihm.
Zwei Jahre später (das kaufmännische Geschäft war inzwischen an den Sohn des Herrn von Poincy übergegangen) kehrte der ältere de Poincy mit seiner Familie: Frau, Tochter und Enkelin, nach Europa zurück. Die Enkelin war das einzige Kind Moritz von Rohrs. Man kaufte sich in Frankreich an, und 1854 waren Frau von Poincy, die Schwiegermutter, und Urania von Rohr, geborene v. Poincy, in Trieplatz auf Besuch; sie mochten Parallelen ziehen zwischen ihrer Hazienda daheim und dem alten Hofe des »Hauptmanns von Capernaum«. Vieles fehlte; aber allerdings auch die Sumpfluft, die so frühe schon die schöne Frau zur Witwe gemacht hatte. Denn die Dosse ist gesund.
Die Tochter Moritz von Rohrs war nicht mit bei diesem Besuche, war vielmehr in einer französischen Klosterschule zurückgeblieben. Erst sechzehn Jahre später lernte sie die Kompatrioten ihres Vaters kennen, als diese, während des Siebziger Krieges, vor dem Kloster Abbaye aux Bois ihr Lager aufschlugen. In diesem Kloster stand das junge Fräulein von Rohr damals als Novize. Längst seitdem hat sie den Schleier genommen, die Großeltern sind tot und nur die Mutter lebt noch in Paris.
Ein Porträt, das inmitten der Familienbilder in Trieplatz hängt, mahnt an die nahen Beziehungen des Hauses Rohr zum Hause de Poincy. Der weiße Teint, das schwarze Haar, die leuchtenden Augen – sie geben das typische Bild der schönen Kreolin.
An Sommertagen, wenn der Akazienbaum seine Zweige bis dicht vor das Fenster streckt, ist es, als spielten seine Blätterschatten mit Vorliebe um dieses Bild.
Und es ist dann wie ein Nicken und Grüßen Jacquelinens an Urania von Poincy.
Mathilde von Rohr
Konventualin zu Kloster Dobbertin
16. September 1889
I
In ihrer Nummer vom 19. September 1889 brachte die »Kreuz-Zeitung« folgende Anzeige:
Am 16. September, 11 Uhr vormittags, verschied nach langem, schwerem Leiden im 80. Lebensjahr unsere geliebte Tante, Großtante und Schwägerin
Fräulein Mathilde von Rohr
aus dem Hause Trieplatz,
Conventualin zu Kloster Dobbertin.
Im Namen der Hinterbliebenen Christian von Rohr, Hauptmann und Kompaniechef im 3. G.-Gr.-Reg. Königin Elisabeth.
Das alte Fräulein hatte ich das Glück zu kennen und von ihr und der guten alten Zeit, die wenigstens dann und wann eine wirklich gute alte Zeit war, will ich in nachstehendem erzählen.
Mathilde von Rohr wurde den 9. Juli 1810 als fünfte Tochter
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