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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Mittag brachen wir aus der Zweibrückener Armesünderstube auf und kamen um drei Uhr in Blieskastel an. Man war unschlüssig, wohin mit uns. Nachdem wir wieder dreiviertel Stunden lang auf freier Straße zur Schau ausgestellt gewesen waren, brachte man uns endlich in den »Turm«. Sergeanten und Gemeine bekamen den Raum unterm Dach; wir Offiziere und der Junker aber wurden in die Stube des Stockmeisters einquartiert. Hier fanden wir bereits zehn oder zwölf Geiseln vor, die die französische Armee bei ihrer Retirade aus der umliegenden Gegend mitgenommen hatte.
     
    Hier brechen die Briefe ab. Was ich noch zu erzählen haben werde, steht räumlich in keinem entsprechenden Verhältnis zu dem bis hierher Mitgeteilten. Otto von Rohr samt seinen Leidensgenossen, die wir aus vorstehenden Briefen kennengelernt, wurde nach Frankreich abgeführt und in Nogent sur Seine, etwa siebzig Kilometer von Paris, interniert gehalten. Hier lebte er, ein Jahr lang und darüber, in ungetrübtem Glück, soweit das Leben eines Gefangenen überhaupt ein glückliches sein kann. Die große Zeit störte nicht seine Kreise. In Paris die Schreckensherrschaft, in Nogent Friede. Auf dem Eintrachtsplatze (furchtbare Ironie) fiel Dantons Haupt, und sein blutiger Schatten ging um, bis das Haupt dessen, der ihn stürzte, dem seinen nachgefallen war, – in Nogent aber, als wäre die Welt so klar wie die Sommernacht, die sich jetzt über ihm wölbte, saß Otto von Rohr unter dem Gezweig einer mächtigen Akazie und neben ihm saß Jacqueline, die Tochter des Hauses, halb Kind noch, und hörte ihm zu, wenn er von seiner Heimat erzählte, von den weiten Strecken Sand und der Sumpfniederung, in der ein Fluß laufe, »schilfbestanden und tief und schwarz wie der Styx, der um das Reiche des Todes schleicht«. Dann fragte Jacqueline, »ob dort auch Menschen wohnen?«
    »Kaum«, antwortete der Gefangene voll übermütiger Laune, »Halbwilde nur, die schwarzes Brot essen und einen bräunlichen, immer schäumenden Saft trinken, den sie Bier nennen. Und zur Winterzeit machen sie Löcher ins Eis und springen hinein oder jagen tagelang durch den Wald, um Füchse zu fangen und mit dem wilden Eber zu kämpfen. Und wenn sie dann heimkehren, können sie oft ihr Dorf nicht finden, weil es in Schnee versunken ist.« Dann fragte Jacqueline: »Und wie sehen diese Menschen aus?«, worauf dann Otto von Rohr erwiderte: »Genau wie ich, Jacqueline.« Und dann lachten sie beide und hörten nicht, daß ein leises Rauschen, wie ein Klageton, durch den Wipfel der alten Akazie ging.
    Denn der alte Baum, der das Leben kannte, wußte, was bevorstand: Trennung. Sie kam; der Baseler Frieden machte den Gefangenen frei. Wieviel Schwüre wurden laut, wieviel Tränen fielen. Eines Tages aber lag alles zurück wie ein Traum, und nur zweierlei war noch wahr und wirklich: das Leid im Herzen Jacquelines und eine kleine seidengestickte Henkelbörse, die sie dem Scheidenden zum Abschiede gereicht hatte. Darin befand sich eine Schaumünze mit ihrem Lieblingsheiligen darauf, und – ein Samenkorn von dem Akazienbaum, unter dem sie so oft gesessen.
    Dies Samenkorn ist in Trieplatz aufgegangen. Es ist derselbe Baum, der (womit wir diese Erzähung einleiteten) vom Park aus in das Gartenzimmer blickt.
     
Urania von Poincy
     
    Die Tage von Nogent sur Seine lagen über ein Menschenalter zurück. Da (dasselbe Jahr noch, in dem unser Otto von Rohr, inzwischen zum General und Präsidenten hoher Kommissionen emporgestiegen, aus dieser Zeitlichkeit schied) knüpften sich neue Beziehungen zwischen Frankreich und – Trieplatz. Noch einmal gewann ein Rohr ein französisches Frauenherz. Und diesmal keine Trennung, oder doch keine andere als durch den Tod!
    Moritz von Rohr, ein Neffe Ottos, stand 1838 bei einem rheinischen Regiment in Saarlouis. Er war zweiundzwanzig Jahr alt, groß und schlank. Der Winter brachte Maskenbälle wie gewöhnlich, und auf einem dieser Bälle war es, daß Moritz von Rohr die Bekanntschaft Urania de Poincys machte, der schönen Tochter des Herrn und der Frau von Poincy, die sich damals, sei es erziehungs- oder zerstreuungs- oder gesundheitshalber, in Saarlouis aufhielten. Dieser Ball entschied über das Leben des jungen Paares; die leidenschaftliche Liebe, die beide füreinander hegten, überwand jedes Hindernis, Moritz von Rohr erbat und erhielt seinen Abschied und in demselben Winter noch erfolgte die Trauung zu Notre Dame in Paris.
    Die Hindernisse, deren ich eben erwähnte, waren

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