Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
Vom Netzwerk:
ein. Quartiere erhielten wir im Ratskeller, in einem weitläufigen Gemach, das schon vorher mit vielen Verwundeten belegt worden war. Uns blieb nur, wie in der Nacht vorher, ein kleines Plätzchen zum Stehen übrig. Hart an uns vorüber trug oder führte man die Verstümmelten. Eine Hölle war uns dieser Aufenthalt; das war »gekerkert im Kerker«. Unbegreiflich und wunderbar war es uns allen und ist es mir noch in dieser Stunde, daß nicht einer dieser Unglücklichen, wütend wie sie waren, uns niedermordete oder doch mißhandelte. Wir erwarteten es jeden Augenblick, aber es blieb bei Fluch und Verwünschung. Ein oder anderthalb Stunden mochten wir in diesem Zustande zugebracht haben, bittend, flehend, daß man uns aus dieser Höhle des Jammers fortführen möge. Alles umsonst. Endlich, aufs äußerste empört, begannen wir selbst zu toben und zu fluchen. Das half. Man brachte uns in ein Wirtshaus, in dem ein französischer Artilleriegeneral logierte. Dieser teilte seine Stube mit uns und behandelte uns mit vieler Artigkeit. Wir ließen uns ein gutes Nachtmahl schmecken, legten uns auf Streu oder Stühle und vergaßen in festem Schlaf die bittern Erlebnisse des letzten Tages.
    Den 1. Dezember 1793. Morgens beim Erwachen war der General fort; wir haben auch später seinen Namen nicht erfahren können. Unser Frühstück, Kaffee und Zubehör, stand bereit, wir ließen es uns schmecken und weiter ging es bis Zweibrücken. Hier führte man uns auf den Marktplatz, wo denn alsbald alles, was nur Raum finden konnte, sich an uns herandrängte. Wir fürchteten ein Dacapo des Spiels vom vorigen Tage, aber es unterblieb; teils waren hier keine Blessierten, teils war die erste Wut schon verraucht; zudem befanden wir uns hier zumeist unter Linientruppen. In ihrem Beisein waren wir in der Regel vor groben Beleidigungen sicher. Jeder von uns ward von einem ganzen Haufen umzingelt, alles schwatzte und frug auf uns ein, frug immer von neuem und immer etwas anderes, ohne unsere Antworten abzuwarten. Dabei reichten sie uns Kognak und Brot, sprachen uns Mut zu und hießen uns guter Dinge sein. Genug, das Ganze dieser Szene war menschenfreundlich und gutartig, wenn ich einige Tölpel ausnehme, die grob wurden, weil wir ihnen kein Gegenprosit mehr zutrinken wollten. Einer den ich bat, mich nicht weiter zu nötigen, erklärte laut: »ich sei ein Emigrierter, er kenne mich«. Dabei nahm er mein Pferd beim Zügel und wollte mich zum Repräsentanten abführen. Doch kam es nicht soweit, einige andere bedeuteten ihm seinen Unsinn und drängten ihn weg.
    Nach einer halben Stunde führte man uns auf die Hauptwache. Hier wiederholten sich die Szenen vom Marktplatz, aber schon nach kürzester Frist wurden wir weiter geschleppt, und zwar in das Gefängnis der Stadt; wir drei Offiziere kamen in die Armesünderstube. Wohl allenthalben sind sich diese Lokalitäten so ziemlich ähnlich. Das erste, was mir ins Auge fiel, war eine mit Kohle an die Wand geschriebene Zeile: »Der nächste Gang von hier geht zum Galgen.« Nun durften wir zwar annehmen, diesen Gang nicht tun zu dürfen, nichtsdestoweniger wirkte diese Zeile sehr unangenehm auf meine Empfindung und stand mir immer vor Augen. Sie war ein häßliche und beständige Mahnung an das höchst Kritische unserer Lage. Der Gefangenenwärter frug, »ob wir Geld hätten, um uns durch seine Vermittelung Lebensmittel kaufen zu können«, eine Frage, die wir leider verneinen mußten. Er schüttelte den Kopf, setzte einen Krug mit Wasser hin und wies auf einen andern größern Kübel; zugleich versprach er Brot und Streustroh zu bringen. Wir waren wie versteinert; doch kam ich mit Hilfe eines listigen Schurken von Gendarmen, deren zwei bei uns geblieben waren, bald zu mir selbst. Freilich nicht auf angenehme Weise. Der Gendarm redete mich an: »Monsieur, il y a bien log temps que je désire à avoir un souvenir d'un officier prussien. Vouz avez là quelque chose, dont vous ne pouvez plus faire usage: votre escarpe: en faite moi présent.« Ich band meine Schärpe ab, erinnerte mich, leider zu spät, der guten Lehren des alten Malwing, schwieg und gab dem Buben, was er spottend von mir erbat. Zugleich mein Letztes. Mit ironischer Höflichkeit bedankte er sich und schritt unter vielen Kratzfüßen zur Tür hinaus. Sein Spießgesell hatte es mit Gottschling ebenso gemacht.
    Der Gefangenwärter erschien nun wieder, brachte Streustroh und Leuchtung, fragte nochmals, »ob wir wirklich kein Geld hätten« und

Weitere Kostenlose Bücher