Wanderungen durch die Mark Brandenburg
war seinem Herzen Bedürfnis, und die höchsten Kräfte des Menschenherzens: Treue, Pietät und Opferfreudigkeit waren in seiner Seele lebendig. Er war schroff nach außen, aber feinfühlig im Gemüt. Das Leben, ungehoben und unverklärt durch geistigen Gehalt, war ihm eine leere Schale; die Idee allein gab allem Wert, und im Kampfe für sie hat er sein Leben hingebracht. Möglich, daß er in diesem Kampfe geirrt; es würde nichts ändern an der Wertschätzung, die seinem Streben gebührt. Denn jedem selbstsuchtslos geführten geistigen Kampfe gelten unsere Sympathien, und erst aus Streben und Irren gebiert sich die Wahrheit. Auch der Kampf, den Marwitz kämpfte, hat uns dieser näher geführt.
»Er war«, so schließt ein Nekrolog, den befreundete Hand geschrieben, »ein Mann von altrömischem Charakter, eine kräftige, gediegene Natur, ein Edelmann im besten Sinne des Worts, der in seiner Nähe nichts Unwürdiges duldete, allem Schlechten entschieden in den Weg trat, Recht und Wahrheit verteidigte gegen jedermann, der die Furcht nicht kannte und immer in den Reihen der Edelsten und Besten zu finden war. Alles Versteckte, Unklare und Erheuchelte war ihm von Herzen zuwider. Wie er streng war gegen sich selbst, war er es auch gegen andere. In Fleiß und guter Wirtschaft, in Frömmigkeit und strenger Sittlichkeit, in einem rechtschaffenen Wandel strebte er seiner Gemeinde ein Vorbild und Muster zu sein.«
An ernstem Streben, an Ringen nach der Wahrheit, an selbstsuchtsloser Vaterlandsliebe sei er Vorbild und Muster auch uns.
Alexander von der Marwitz
Du hoffst umsonst vom Meere,
Vom Weltgetümmel Ruh;
Selbst Lorbeer, Ruhm und Ehre
Heilt keine Wunden zu.
Waiblinger
Blühend blieb mir im Gedächtnis
Diese schlanke Heldenblume;
Nie vergeß ich dieses schöne
Träumerische Jünglingsantlitz.
H. Heine
Alexander von der Marwitz war der jüngere Bruder des Generalleutnants Ludwig von der Marwitz, dessen Leben und Charakter ich im vorhergehenden Kapitel zu schildern versucht habe. Der Anfang dieses Jahrhunderts war eine Epoche der Dioskuren, der glänzenden Brüderpaare; die beiden Humboldt, die beiden Schlegel, die beiden Tieck, die beiden Bülow – zu ihnen gesellten sich die beiden Marwitz. Beide Brüder waren von verwandter Naturanlage, von gleichem Temperament; beider Herz war groß und hatte jenen hohen Vollschlag, der die Freiheit bedeutet.
Sie hatten eine verwandte Naturanlage, so sagte ich, aber sie waren doch verschieden. Wie ein Adler war der ältere Bruder. Himmel und Einsamkeit um sich her, sah er auf die irdischen Dinge wie auf etwas Fremdes herab, wie auf das Treiben eines Lagers, das morgen abgebrochen wird; Ziel und Heimat lagen ihm über der Welt, nicht auf ihr. Anders der jüngere Bruder. Einem gezähmten Falken glich er, und früh an die Menschenwelt gewöhnt, blieb er in Zwiespalt, wo seine Heimat sei: ob hinter Gitterstäben, wo die schöne Hand der Herrin ihm Spielzeug und Schmeichelworte reichte, oder dort oben, wo die lichten Wolken im Äther ziehen. Sooft er in den Lüften war, zog ihn die süße Gewohnheit zur Erde zurück, sooft er auf der Erde war, zog ihn die eingeborene Natur nach oben. Als er auf dem Punkte stand, die Gegensätze zu versöhnen und in Freiheit zu dienen, traf ihn der Tod. So starb er, »ein hoffnungsvoller, ein vielgeliebter«, wie die kriegsgeschichtlichen Tagebücher jener Zeit ihn nennen.
Alexander von der Marwitz ward am 4. Oktober 1787 in Berlin geboren. Nach einer andern Angabe in Friedersdorf. Seine erste Erziehung erhielt er im elterlichen Hause, teils in Berlin, teils auf dem Familiengut. Seinen Vater verlor er früh (1793), und sein zehn Jahre älterer Bruder, Friedrich August Ludwig, wurde, wenn nicht dem Namen nach, so doch in Wirklichkeit sein Vormund. Das stete Wechseln im Aufenthalt zwischen Berlin und Friedersdorf erwies sich nicht als günstig für die Erziehung des jüngeren Bruders, und so wurde derselbe im Sommer 1794 zum Hofprediger Arens in Küstrin in Pension gegeben. Arens, wohlunterrichtet, streng und gewissenhaft in seiner Methode, legte den Grund zu dem späteren ausgezeichneten Wissen seines Zöglings. Kaum vierzehn Jahre alt, verließ dieser die Küstriner Schule, nahm in einer noch aufbewahrten, durch Gedankenreife überraschenden Rede von Lehrern und Schülern Abschied und ging nach Berlin, wo er noch dritthalb Jahre lang das damals unter Gedikes Leitung stehende, höchst ausgezeichnete Gymnasium »Zum grauen
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