Wanderungen durch die Mark Brandenburg
des Höchsten und Liebsten die Vorstellung nicht aufgeben mögen, daß es noch ein Höheres und Lieberes gibt.
In diesem Sinne schreibt Rahel zu Anfang des Jahres 1811. »Und wie treibens unsere Besten? Ruhm wollen sie, wollen zehren ohne beizutragen, und – nichts kriegen sie. Besseres noch, so denken sie, werden sie finden, und – nichts finden sie. Statt ihren wahren Freunden selbst Freund zu sein, statt ihnen etwas zu leisten und sich des Glückes zu freuen, das sie durch Opfer und Guttat geschaffen, vergeuden sie ihre beste Kraft in der Beschäftigung mit ihren Plänen, im Kampf mit Phantomen. Marwitz hab' ich dies noch nie gesagt, weil ich ihn zu sehr liebe und es zu persönlich würde.«
So klagte Rahel über ihren »liebsten Freund« in einer Zeit, wo täglicher Verkehr und rückhaltloses Vertrauen ihr die beste Gelegenheit gab, einen Einblick in die Vorgänge seines Herzens zu gewinnen.
»Er war des Lebens früh überdrüssig und durchaus ermüdet vom täglichen Einerlei, wenn das Gewaltigste sich nicht von Tage zu Tage jagte.« So beschreibt ihn sein älterer Bruder. Er war ruhelos, unbefriedigt, unglücklich. Aber wir würden ihm unrecht tun, wenn wir dieses Unbefriedigtsein, diesen Lebensüberdruß, Erscheinungen, die mitunter an die krankhaften Stimmungen Heinrich von Kleists erinnern, ausschließlich auf Rechnung eines überreizten Gemütes setzen wollten. Er war allerdings unstet und ruhelos, weil er einem »Phantom« nachjagte, das sich nicht erreichen und erringen ließ, aber er litt auch in aller Wahrheit und Wirklichkeit unter der Wucht schwerer Schläge. Wenn sich eigene Schuld mit einmischte, um so schlimmer. Er hatte ein Recht, ernster drein zu schauen, als mancher andere. Die Schmach des Vaterlandes, die Eisenhand des Unterdrückers, das alles waren sehr wirkliche Dinge, die damals manches Herz mit Schwermut oder Fanatismus erfüllten. Vor Marwitz aber stand noch ein anderes: sein Traum brachte ihm die Gestalt des polternden, zornroten und dann so still und blaß gewordenen Wirts, und wenn die Gestalt verschwand, so zog an ihrer Statt das Bild einer schönen Frau herauf, zu der er sich mit glühender, immer wachsender Leidenschaft hingezogen fühlte. Der Tag ist noch nicht da, über dieses Verhältnis ausführlicher zu sprechen; vielleicht wird die Pietät gegen einen unserer gefeiertsten Namen es für immer verbieten. Zorn und Liebe, Gewissensangst und Leidenschaft rangen auf und ab in Marwitzens Herzen, und es hätte des heißen Verlangens nach Ruhm und Auszeichnung, nach einem unbestimmten Höchsten nicht bedurft, um jene Rastlosigkeit zu schaffen, die zugleich ein Verlangen nach Ruhe war.
Im Mai 1811 ging Marwitz auf kurze Zeit nach Friedersdorf. Die Veranlassung dazu war nicht angetan, ihm die Heiterkeit zurückzugeben, deren er so sehr bedurfte. Das Eintreten des älteren Bruders für das ständische Recht hatte zu seiner Verurteilung geführt, und während er nach Spandau ging, um daselbst seine Haft anzutreten, trat der jüngere Bruder für ihn ein, um, wie fünf Jahre früher, die Verwaltung des Gutes zu übernehmen. Dieser nur kurze Aufenthalt in Friedersdorf scheint eine Krisis für ihn gewesen zu sein. Während ihn die zwischen ihm und Rahel in dieser Zeit gewechselten Briefe zunächst noch auf einem Höhepunkte der Schwermut und Ratlosigkeit zeigen, klärt sich gegen das Ende hin alles auf. Das Gewitter scheint vorüber und wir blicken wieder in klaren Himmel. Einzelne Briefbruchstücke aus jener Zeit mögen diesen Übergang vom Trübsinn bis zur neu erwachenden Hoffnung zeigen.
»Mit mir wird es besser. Zwar will mir das Herz noch zuweilen erkranken, aber ich gebiete ihm Ruhe. Wille und Tätigkeit bändigen es. Machen Sie sich meinetwegen keinen Kummer. Untergehen kann ich, aber mir zum Ekel, anderen zur Last leben, das kann ich nicht. Und das ist doch noch sehr glücklich. Ich habe in dieser Zeit zuweilen an den Selbstmord gedacht, aber immer ist er mir vorgekommen wie eine verruchte Roheit.«
»Ich bin bis jetzt hier geblieben, teure Rahel, und hatte vor, noch einen Monat hier zu bleiben, weil ungeachtet der Gespenster, die in meinem Innern herumwandeln, doch eigentlich der Körper durch Landluft gedeiht und ich jene durch Tätigkeit zu verscheuchen hoffte. Aber ich traue nicht mehr, denn gesunder bin ich zwar, aber nicht weniger reizbar. Ein einziger Moment kann mich dahin zurückwerfen, wo ich war, und was am Ende aus dem finstern Brüten werden kann, übersehe ich
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