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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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aller Vollständigkeit aufbewahrt worden ist. Marwitz ist gegen die Separation. Er sucht zu beweisen, daß die »Teilung der Gemeinheiten« und das sogenannte »Abbauen der Dörfer« ein Fehler sei; ein Fehler deshalb, weil es den Egoismus des einzelnen steigere, statt ihn zu mindern. Dieser Egoismus erscheint ihm als der Wurm, der den Geist der Nationen zerstört. Lassen wir ihn selber sprechen.
    »Die Nationalkraft ist der Urgrund alles Produzierens. Selbst wenn unsere Zustände, wie sie jetzt sind, sich befestigen sollten, selbst wenn wir Zeiten der Ruhe entgegengingen, die einen ungestörten Auf- und Ausbau dessen zuließen, was ihr einzuführen gedenkt (Separation und Dörferabbau), so würde damit wenig gewonnen sein. Die Welt hat solche Zeiten schon einmal gesehen. Es waren die Zeiten der besseren römischen Kaiser. Friede herrschte von den Säulen des Herkules bis zu den Ufern des Euphrat; das Recht war genau bestimmt und wurde strenge gehandhabt, es wurden manche Roheiten der früheren Zeit verbannt durch die milde Gesinnung der Herrscher und überhaupt alle Störungen entfernt, die dem Wohlsein der einzelnen entgegenstehen mochten. Und doch waren dies dieselben Zeiten, in denen in den höheren Regionen des menschlichen Daseins völlige Öde herrschte, Zeiten, in denen weder Wissenschaft noch Religion, noch Vaterland die Menschen begeisterte. Aber mehr denn das -mehr in den Augen derer, die sich durch die Erscheinung bestechen lassen – auch der äußere Glanz verfiel. Schon unter Augustus verödeten ehemals berühmte Städte, und unter Trajan, dem besten der Kaiser, wurden im ganzen Peloponnes weniger Menschen gezählt, als früher in der einzigen Stadt Athen. So wahr ist es, daß nicht der einzelne produziert, sondern der Geist der Nationen, und daß, wo dieser erstorben und mit ihm Lebenslust und Freude an der Gegenwart entschwunden ist, auch das äußere Dasein allmählich in eine kümmerliche und barbarische Entartung zurücksinkt. Auf den Gemeinsinn, auf die Gesamtkraft kommt es an; diese zu wecken ist Aufgabe, und alles, was die Kleinheit der Gesinnung und den Egoismus nährt, das schwächt die nationale Kraft und mindert dadurch den wahren und zuletzt auch den alleräußerlichsten Reichtum des Landes. Wohin der Dörferabbau führt, das läßt sich nirgends besser studieren, als im Oderbruch. Es gibt kaum ein ruchloseres Geschlecht. Weder vor göttlichen noch vor menschlichen Dingen haben sie Ehrfurcht, weder den Nachbarn wollen sie helfen, noch dem Staate dienen. Das letztere mit einigem Recht, denn sie verdanken ihm nichts. Im Gegenteil, er hat sie ausgestoßen und sie ihrer eigenen heillosen Roheit preisgegeben.«
    So waren Marwitzens Gedanken über diese hochwichtige Frage. Er suchte sie nicht als ein »Praktiker«, sondern von einem höheren Gesichtspunkt aus zu lösen. Nicht in allem hat er Recht behalten. Die Separation, die Teilung der Gemeinheiten ist erfolgt und dem Lande, wie sich kaum bestreiten läßt, zum Segen ausgeschlagen. Aber wenn auch die Gesamtheit seiner Aufstellungen seitdem widerlegt sein sollte, was nicht der Fall ist, so würden wir doch immer einer Gesinnung zuzustimmen haben, die diese Fragen von einem idealen Standpunkt aus zu regeln trachtete. Nicht als ein Richtiges, praktisch Unangreifbares habe ich seine Aussprüche zitiert, sondern nur um die hohe Art eines Charakters zu zeichnen, der es verschmähte, dem Tage und der Mode zu dienen. Sein Blick drang in Zeit und Raum über das Zunächstliegende hinaus.
    Unter solchen und ähnlichen Arbeiten, nur unterbrochen, wenn ein Besuch ihn zu den Berliner Freunden hinüberführte, verfloß das Jahr 1812. Der November und die ersten Wochen des Dezember vergingen in wachsender Aufregung: die aus Rußland eintreffenden Nachrichten meldeten den sich vorbereitenden Untergang des Napoleonischen Heeres. Wie ihn das erfaßte! Ein Hoffnungsstrahl dämmerte wieder. Die Studien, die Bücher waren ihm viel, aber der Krieg war ihm mehr, wenigstens ein solcher Krieg. »Alles Wissen war wertlos in einem Sklavenlande.« Krieg war gleichbedeutend mit Freiheit. Etwa am. 18. Dezember traf in Berlin die Nachricht vom Beresinaübergang ein. Marwitz war wie elektrisiert. Es war ihm klar, daß Preußen sich auf der Stelle erheben, die Reste der großen Armee gefangennehmen und dadurch auf einen Schlag die Niederlage des Kaisers vollenden mußte. Die eigene Wiederherstellung ergab sich dann von selbst. Aber wie das ins Werk setzen? Er kannte zu gut

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