Wanderungen durch die Mark Brandenburg
deutsche Siege reihten.
Es war eine endlos ausgesponnene Kette, in der jedes einzelne Glied so Ursach wie Wirkung war. Die deutsche Grausamkeit schuf wendische Aufstände, und den wendischen Aufständen folgten erneute Niederlagen, die, von immer neuen Grausamkeiten des Siegers begleitet, das alte Wechselspiel wiederholten. So war es unter Kaiser Heinrich, und so war es unter Otto dem Großen. Zweimal wurden die Wenden in blutigen Schlachten niedergeworfen, 929 bei Lunkini (Lenzen), 2 935 am Dosafluß (an der Dosse), aber ihre Kraft war ungebrochen, und der Tag kam heran, der bestimmt war, alle Niederlagen quitt zu machen. Dies war die Schlacht am Tangerfluß 983. Da von dieser Zeit an das schon halb tot geglaubte Wendentum einen neuen Aufschwung nahm und noch einmal in aller Macht und Furchtbarkeit aufblühte, so mag es gestattet sein, bei den Vorgängen einen Augenblick zu verweilen, die zu dieser Schlacht am Tanger führten.
Mistewoi war Obotritenfürst und bereits Christ geworden. Er hielt zum Herzog Bernhard, der damals Markgraf von Nordmark war, und fühlte sich demselben an Macht, Geburt und Ansehen nah genug, um um dessen Nichte anzuhalten. Der Markgraf versprach sie ihm; Mistewoi aber, um ganz in die Reihe christlicher Fürsten einzutreten, zog zunächst mit tausend wendischen Edelleuten nach Italien und focht an Kaiser Ottos Seite in der großen Schlacht bei Basantello. Als er zurückgekehrt war, erschien er vor Markgraf Bernhard und wiederholte seinen Antrag. Dieser schwankte jetzt aber, und ein anderer deutscher Fürst, der zugegen war, raunte dem Markgrafen zu: »Mit nichten; eines deutschen Herzogs Blutsverwandte gehört nicht an die Seite eines wendischen Hundes.« Mistewoi hatte gehört, was der Nebenstehende halblaut vor sich hin gesprochen hatte, und verließ die Halle. Bernhard, der das nun Bevorstehende ahnen mochte, schickte dem tödlich verletzten Wendenfürsten Boten nach, aber dieser ließ nur antworten: »Der Tag kommt, wo die Hunde beißen.« Er ging nun nach Rethra, wo der Haupttempel aller wendischen Stämme stand, und rief – die Obotriten standen selbstverständlich zu ihm – auch alle liutizischen Fürsten zusammen und erzählte ihnen die erlittene Schmach. Dann tat er sein Christentum von sich und bekannte sich vor dem Bilde Radegasts aufs neue zu den alten Göttern. Gleich darauf ließ er dem Sachsengrafen sagen: »Nun hab acht, Mistewoi der Hund kommt, um zu bellen und wird bellen, daß ganz Sachsenland erschrecken soll.« Der Markgraf aber antwortete: »Ich fürchte nicht das Brummen eines Bären, geschweige das Bellen eines Hundes.« Am Tangerfluß kam es zur Schlacht, und die Sachsen wurden geschlagen. Das hatte Mistewoi der Hund getan. Die Unterwerfung, die 924 begonnen hatte, hatte 983 wieder ein Ende.
Der Dom zu Brandenburg wurde zerstört, und auf dem Harlunger Berge erhob sich das Bild des Triglaw. Von dort aus sah es noch wieder einhundertfünfzig Jahre lang in wendische Lande hinein. Die Liutizen waren frei.
Drei Generationen hindurch hielt sich, nach diesem großen Siege, die Macht der Wenden unerschüttert; Kämpfe fanden statt, sie rüttelten an der wiedererstandenen Wendenmacht, aber sie brachen sie nicht. Erst mit dem Eintritt des zwölften Jahrhunderts gingen die Dinge einer Wandlung entgegen; die Wendenstämme, untereinander in Eifersüchteleien sich aufreibend, zum Teil auch uneins durch die rastlos weiter wirkende Macht des Christentums, waren endlich wie ein unterhöhlter Bau, der bei dem ersten ernsteren Sturme fallen
mußte
. Die Spree- und Havellandschaften waren, so scheint es, die letzten Zufluchtsstätten des alten Wendentums; Brennabor, nachdem rund umher immer weiteres Terrain verlorengegangen war, war mehr und mehr der Punkt geworden, an dessen Besitz sich die Frage knüpfte, wer Herrscher sein solle im Lande, Sachse oder Wende, Christentum oder Heidentum. Das Jahr 1157, wie eingangs schon bemerkt, entschied über diese Frage. Albrecht der Bär erstürmte Brennabor, die letzten Aufstände der Brizaner und Stodoraner wurden niedergeworfen, und mit der Unterwerfung des Spree- und Havellandes empfing das Wendenland zwischen Elbe und Oder überhaupt den Todesstoß. (Rethra war schon vorher gefallen, wenigstens seiner höchsten Macht entkleidet worden. Nur der Swantewittempel auf Arkona hielt sich um zwanzig Jahre länger, bis der Dänenkönig »Waldemar der Sieger« auch diesen zerstörte.)
So viel in kurzen Zügen von der Geschichte des Wendenlandes
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