Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 8 Bde., Bd.1, Die Grafschaft Ruppin
»Vanity Fair« erzählt, »daß ihm von Zeit zu Zeit immer noch Mr. Birch in seinen Träumen erscheine«, das kann ich auch von meinen Beziehungen zum alten Thormeyer sagen. Er war eine Kolossalfigur mit Löwenkopf und Löwenstimme, lauter Schreckensattribute, die dadurch nicht an Macht verloren, daß man sich schaudernd erzählte, »er sei überhaupt nur von Stendal nach Ruppin versetzt worden, weil er sich an ersterem Ort an seinem Ephorus hart vergriffen habe«. Das Wort »vergriffen« hatte für meine zwölfjährige Knabeneinbildungskraft etwas ganz besonders Schauerliches.
Ich muß bei diesem Manne noch einen Augenblick verweilen, weil sich mir einige »kulturhistorische Bemerkungen« dabei aufdrängen und weil an einer Erscheinung wie die seinige der außerordentliche Unterschied zwischen jetzt und damals zutage tritt. Wird alles Gewicht auf das Autoritative gelegt, so haben wir seitdem offenbare Rückschritte gemacht, soll aber andrerseits von gesundem Sinn, von Schönheit und Freiheit die Rede sein, von jener hohen Freiheit, die doch bei allem Lernen und Wissen immer die Hauptsache bleibt und ohne die die ganze Bekanntschaft mit Plato keine Viertelmetze Kirschen wert ist, so haben wir nicht nur Fortschritte gemacht, sondern existiert überhaupt gar keine Verbindung mehr zwischen damals und heut. Thormeyer galt als ein geistreicher Mann. Möglich, daß er es auf seine Weise war, aber diese Weise war der Art, daß uns alles, was er sprach oder schrieb, nur wie Bombast oder ein hochgestelzter Galimathias berührt. Ein paar Beispiele. »Was für positive und negative Beschlüsse ein Schuldirektor zu fassen hat«, schreibt er, »hängt nicht von ihm und a priori ab – da weder das Dasein Friedrichs des Großen noch dessen Siebenjähriger Krieg sich a priori beweisen läßt –, sondern es hängt von dem Besondersten der Zeit und des Ortes ab.« Dieser Satz, der sich durch einen mindestens kühn gewählten Vergleich auszeichnet – denn zwischen der Vorweg- Beurteilung eines zwar erst kommenden, aber doch unter allen Umständen einem bereits existierenden Gesetz unterworfenen Falles und dem Vorweg- Beweis eines noch erst in der Zukunft ruhenden Menschendaseins ist ein gewaltiger Unterschied –, bietet all seiner Kühnheit unerachtet nur einen Vorgeschmack dessen, was Thormeyer zu leisten imstande war. Voller, gründlicher haben wir ihn in seinen Büchern, beispielsweis in seinem » Erbauungsbuch für studierende Jünglinge«. Darin befindet sich folgende Betrachtung über die Hände . »Die Hände sind an demjenigen Ort befestigt wo sie alle ihre Geschäfte auf das geschickteste, beste und leichteste verrichten können. Denn hätten sie ihre Stellung hinten erhalten, so könnten ihnen, bei der übrigen jetzigen Beschaffenheit des Leibes, die Augen nicht zustatten kommen, befände sich aber die eine Hand hinten und die andere vorn, so könnten sie einander nicht Hülfe leisten.«
So Thormeyer. Welche »Erbauung« muß dem dürstenden Jüngling aus diesem Erbauungsbuche geflossen sein! Zu dem Behufe versenkte man sich in Anthropologie und Psychologie, das waren die Früchte, die am Baume höherer Erkenntnis wuchsen. Entsprechend dem allen war der Grad sittlicher Freiheit und stolzer Unabhängigkeit im Leben des Mannes selbst. Ein Donnerer in den Klassen, erwies er sich als »devotest ersterbend« jeder vorgesetzten Behörde gegenüber, diese mochte sein, was und wie sie wollte.
Thormeyer schied 1834 aus. Mit diesem Ausscheiden begannen andere, bessere Zustände. Was am Ideal noch fehlen mochte, war zum Teil die Nachwirkung voraufgegangener Zeiten. Starke kam, von dem am Jubelfeste 1865 einer seiner Schüler, Geheimer Rat von Quast, sagen durfte: »Nie hat ein anderer Lehrer, auch der berühmtesten keiner , ähnlich ergreifend und bestimmend auf mich eingewirkt.« Dann folgte W. Schwartz, ein Mann von seltener organisatorischer Kraft, eine Autorität auf dem Gebiete märkischer Sage und Geschichte, dessen segensreichem Wirken die Anstalt unter anderm die Aufstellung und Zugänglichmachung eines ihrer größten Schätze verdankt.
Dieser Schatz ist: das Zieten-Museum .
Das Zieten-Museum entstand aus einer reichhaltigen Sammlung naturhistorischer, ethnographischer, namentlich aber vaterländischer Altertümer, die, vom verstorbenen Grafen Zieten auf Wustrau begonnen, schon Anfang der fünfziger Jahre, nach testamentlicher Verfügung, an das Ruppiner Gymnasium übergegangen war. Die Verhältnisse
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