Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt
das nicht nur das, was die Kreditkrise verursacht hat, vielmehr war das die Kreditkrise.
Am 16. August 2011 trafen sich Nicolas Sarkozy und Angela Merkel zu einer Krisensitzung – es war beileibe nicht die erste und wird mit Sicherheit auch nicht die letzte derartige Sitzung sein –, um zu entscheiden, was man in der Eurokrise unternehmen solle. Im Anschluss an die Besprechung hielten sie eine Pressekonferenz ab, auf der sie zahlreiche Plattitüden von sich gaben, im Sinne von: Europa müsse seine »wirtschaftspolitische Steuerung« verbessern, gingen aber ansonsten auf keinerlei Einzelheiten ein. Dabei schlossen sie die beiden einzigen Maßnahmen, die geholfen hätten, sehr genau und explizit aus: die Szit keineSchaffung von »Eurobonds«, also Schuldverschreibungen, die von der gesamten Wirtschaftskraft aller Länder innerhalb der Eurozone gedeckt werden, und die Erweiterung des 440 Milliarden Euro umfassenden europäischen Rettungsschirms, der EFSF (European Financial Stability Facility oder auch Europäische Finanzstabilisierungsfazilität). Die Gründe sind leicht zu verstehen: Sie hatten einzig und allein mit dem Wunsch zu tun, sich im eigenen Land nicht unbeliebt zu machen, indem man den verschuldeten und hart mit der Krise ringenden südeuropäischen »Club Med«-Ländern weitere Hilfestellungen leistete.
Unglücklicherweise ist eine solche Tatenlosigkeit, wie Merkel und Sarkozy sie zeigten, der sicherste Weg in eine Katastrophe. Alle Welt weiß, dass Eurobonds mittelfristig der einzige Weg aus der Eurokrise sind; und was die Höhe weiterer kurzfristig notwendiger Bailouts angeht, so belief sich Gordon Browns Schätzung auf 2 Billionen Euro. Dieser Betrag, so sagte er, »hätte die Märkte vielleicht überzeugen können, dass Europa wirklich und wahrhaftig zum Handeln entschlossen ist«. Umfassende, nachhaltige und erkennbar unbeeinflussbare Regierungshilfen in dem von Brown genannten Rahmen sind das Einzige, was die Spekulanten, Hedgefonds und das »heiße Geld« abschrecken würde. Stattdessen geschieht jedoch – gar nichts. Die Märkte gaben ihre Meinung dazu auf die einzige Weise ab, dieihnen zur Verfügung stand, was wiederum zur Folge hatte, dass die EZB am 17. August 2011 weitere Kredite über 9−10 Milliarden Euro an gefährdete Banken gewähren musste.
Es ist genau dieser Mangel an politischer Entschlossenheit, sowohl in der EU als auch in den USA, der dazu führt, dass die ökonomische Landschaft immer mehr den Verhältnissen in den dreißiger Jahren ähnelt. Der Wissenschaftszweig der Makroökonomie entwickelte sich aus den Untersuchungen, die Wirtschaftswissenschaftler zur Großen Depression anstellten. Man wollte verstehen, was passiert war, und verhindern, dass solche Ereignisse sich wiederholen. Deshalb ist es auch so deprimierend, mitansehen zu müssen, wie die Industriestaaten einer neuerlichen Rezession nicht nur schlafwandlerisch entgegengehen, sondern aktiv eine politische Strategie verfolgen, die eine solche Entwicklung nahezu unvermeidlich macht. Die Regierungen können unmöglich gleichzeitig ihre Ausgaben einschränken und ihr Wirtschaftswachstum ankurbeln: Das widerspricht ganz einfach dem gesunden Menschenverstand. Das Problem hat zum großen Teil mit dem Gebrauch einer fehlerhaften Metapher zu tun, nämlich der eingängigen Vorstellung, dass in einem Haushalt die Ausgaben die Einnahmen nicht übersteigen dürfen. Aber Regierungen sind keinePrivathaushalte, und die Annahme, man könne sich Wohlstand zusammensparen, lässt sich unmöglich von der Welt unserer persönlichen Finanzen auf die des Staates übertragen. Es ist nur zu offensichtlich, dass diese ganze Politik, zusammen mit der Weigerung, die Wirtschaft durch mehr Ausgaben anzukurbeln, weltweit zu Konjunkturverlangsamungen führt. Dadurch wurde auch die gegenwärtige Besorgnis auf den Märkten ausgelöst, und das rapide sinkende Vertrauen in die Regierungen hat zur Folge, dass sich deren Zwangslage immer weiter verschärft. Die Erwartung eines zweiten Abschwungs hat sich in den Köpfen festgesetzt und trägt unmittelbar dazu bei, dass dieser Abschwung auch eintritt. Die Zweifel, ob die Regierungen überhaupt in der Lage sein werden, ihre Schulden zurückzubezahlen, werden immer stärker, was das Vertrauen noch weiter untergräbt, und so weiter und so weiter.
Es war schon zu Gründungszeiten der Eurozone offenkundig, dass man sie mit einer robusteren institutionellen Struktur und einer verbesserten Krisenvorsorge würde
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