Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt
und in immer kürzeren Zeitabständen eintreten. Diesen Schluss müssen wir ziehen, denn er umschreibt die simple Realität der immer umfangreicher und schneller werdenden globalen Kapitalbewegungen. Warum sollten nicht auch die Schreckensmomente immer größer werden, wenn das auch für alles andere gilt? Das Problem ist nur, dass die westliche und auch die ganze übrige Welt solche Zusammenbrüche wie den gegenwärtigen nicht noch einmal verkraften kann – heute nicht und wohl auch nicht in der kommenden Generation.
Vor ungefähr 20 Jahren sagte der visionäre Klimawissenschaftler James Lovelock, die Welt brauche unbedingt so etwas wie einen kleinen Herzinfarkt. Er erklärte damals, ein solcher Vorfall habe oft sehr heilsame Folgen für das Leben eines Menschen, denn er zwinge ihn, den Tatsachen ins Auge zu schauen und sich einen gesünderen Lebensstil anzueignen. Unser Planet brauche einen ähnlichen Warnschuss, damit der Menschheit bewusst werde, was sie mit ihm angestellt hat.
Die Erde hat ihren kleinen Herzinfarkt noch nicht bekommen, aber der Kapitalismus schon, und zwar in Gestalt der Kreditkrise. Durch diesen Vorfall haben wir alle die Chance,uns selbst, unser Bankensystem und unsere Politiker einmal gründlich unter die Lupe zu nehmen und etwas zu verändern. Auf politischer Ebene gibt uns das die Gelegenheit, darauf zu bestehen, dass unsere Regierungen die Regeln ändern, damit so etwas wirklich und wahrhaftig nie wieder geschehen kann – denn wenn auch nur die geringste Möglichkeit besteht, dass es wieder geschieht, dann wird es auch geschehen. Das liegt in der Natur der zeitgenössischen Märkte. Andernfalls wäre es ganz so, als würden wir uns nach besagtem kleinen Herzinfarkt selbst aus dem Krankenhaus entlassen und das sofort mit einer Packung Zigaretten, einer Flasche Tequila, einem Riesenburger und einer gigantischen Portion Fritten feiern.
Die Siegesparty des freimarktwirtschaftlichen Kapitalismus dauerte zwei Jahrzehnte, aber nun ist es an der Zeit, das Tempo zu verlangsamen, zur Ruhe zu kommen und Wege zu finden, wie man die Finanzindustrie wieder zu etwas machen kann, das der übrigen Gesellschaft dient, statt sie auszurauben.
Und das Maß unserer individuellen Verantwortung spielt dabei eine ebenso große Rolle. Wir müssen anfangen, darüber nachzudenken, an welchem Punkt wir genug haben – genug Geld, genug Besitztümer – und ob wir die Dinge, von denen wir glauben, wir bräuchten sie noch zusätzlich zu dem, was wir bereits haben, wirklich brauchen. In einer Welt, der die Ressourcen ausgehen, kann man die wichtigste ethische, politische und ökologische Idee mit einem einzigen, simplen Wort zusammenfassen: »Genug«.
Epilog
Beginnt man als Außenseiter, sich für die Welt des Geldes zu interessieren, dann fällt einem sehr schnell auf, dass die meisten Vorkommnisse, die der Öffentlichkeit Sorgen bereiten und über die sie sich aufregt, von den Insidern der Branche als reine Routine angesehen und nicht im Geringsten beachtet werden. Man denke nur an die riesigen Summen, die den Bankern gezahlt werden, oder die Verheerung, die das sogenannte »heiße Geld« anrichtet, das mit einem einzigen Mausklick um den Globus katapultiert wird und nach Belieben ganze Industriezweige oder Wirtschaftssysteme zerfetzt. Für Finanzmenschen sind solche Phänomene völlig selbstverständlich und werden einfach hingenommen. Und das wird auch so bleiben, es sei denn, irgendjemand heckt einen genialen Plan aus, wie wir hingehen und auf einem anderen Planeten ein ganz neues Finanzsystem erschaffen können.
Alle Jubeljahre einmal geschieht jedoch etwas, das die Verhältnisse auf den Kopf stellt und den Bankern noch größere Angst einjagt als uns Normalsterblichen. Das passierte beispielsweise im Herbst 2007, als die Kreditkrise ihren Anfang nahm, und es geschieht auch heute wieder. Verantwortlich dafür ist die Eurokrise bzw. die Gefahr, dass die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, mit denen die 17 Mitgliedstaaten der Eurozone zu kämpfen haben, die Europäische Union zum Auseinanderbrechen bringen könnten. Diese Aussicht hätte man früher einmal für die Hirngespinste eines Schwarzsehers gehalten. Heute aber betrachten auch vernünftige Menschen diese Möglichkeit als gar nicht mal so abwegig – und falls es wirklich dazu käme, dann würde das auf dem Finanzmarkt zu solch dramatischen Verwerfungen führen, dass einem der Bankrott von Lehman Brothers im Vergleich dazu wie eine Fahrt im
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