Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition)
Aristokratie und das Heer lieferten. Im Gegenzug bot die Inka-Elite Sicherheit und Schutz vor Hunger.
Unter de Toledo sollte die mita , insbesondere die Potosí- mita , zur umfassendsten und gnadenlosesten Arbeitsausbeutung der spanischen Kolonialzeit werden. De Toledo definierte einen gewaltigen Einzugsbereich, der sich von der Mitte des heutigen Peru über den größten Teil Boliviens hinweg erstreckte und rund 520000 Quadratkilometer groß war. In diesem Gebiet wurde ein Siebtel der männlichen Einwohner, die gerade in die reducciones umgesiedelt worden waren, zur Arbeit in den Bergwerken von Potosí gezwungen. Die Potosí- mita setzte sich während der gesamten Kolonialzeit fort und wurde erst 1825 abgeschafft. Karte 1 zeigt den Einzugsbereich für die mita im Inkareich zur Zeit der spanischen Eroberung, die sich weitgehend mit dem Landesinnern des Reiches deckte und auch die Hauptstadt Cusco einschloss.
Karte 1: Das Inkareich, das Inkastraßennetz und das Einzugsgebiet der Bergbau- mita
Erstaunlicherweise sind die Auswirkungen der mita noch im heutigen Peru an den Unterschieden zwischen den dicht nebeneinanderliegenden Provinzen Calca und Acomayo zu beobachten. Sie scheinen sich stark zu ähneln. Beide befinden sich hoch in den Bergen und werden von den quechuasprachigen Nachfahren der Inka bewohnt. Doch Acomayo ist viel ärmer, und seine Bewohner verbrauchen etwa ein Drittel weniger als die von Calca. Das ist den dort lebenden Menschen nicht neu. In Acomayo werden die unerschrocken bis hierher vordringenden Ausländer gefragt: »Wissen Sie nicht, dass die Leute hier ärmer sind als dort drüben in Calca? Warum kommen Sie hierher?«
Es ist viel schwerer, nach Acomayo, dem alten Zentrum des Inkareiches, zu reisen als in die Provinz Calca. Die Straße nach Calca ist gepflastert, während die nach Acomayo äußerst baufällig wirkt. Um über Acomayo hinauszugelangen, benötigen Reisende ein Pferd oder ein Maultier. In Calca und Acomayo baut man die gleichen Pflanzen an, doch in Calca werden sie auf dem Markt verkauft, während sie in Acomayo dem Eigenbedarf dienen. Diese Ungleichheiten, die für Dritte ebenso wie für die Bevölkerung augenfällig sind, lassen sich durch die institutionellen Unterschiede zwischen den beiden Bezirken erklären, die bis zu de Toledo und seinem Plan für die effektive Ausbeutung der indigenen Arbeit zurückreichen. Der Hauptgegensatz zwischen Acomayo und Calca besteht darin, dass sich Acomayo im Einzugsbereich der Potosí- mita befand, Calca jedoch nicht.
Zusätzlich zur Konzentration der Arbeitskräfte und der mita ergänzte de Toledo das encomienda -System durch eine fixe Kopfsteuer, die jeder erwachsene Mann alljährlich in Silber zu zahlen hatte. Dies war ein weiteres Verfahren, das Menschen auf den Arbeitsmarkt zwingen und die Löhne für spanische Grundeigentümer verringern sollte. Noch eine andere Institution, genannt repartimiento de mercancias , griff in de Toledos Amtszeit um sich. Abgeleitet von dem spanischen Verb repartir (»verteilen«), zog dieses repartimiento , also die »Verteilung der Güter«, den Zwangsverkauf von Waren durch Ortsansässige nach sich, wobei die Spanier die Preise festlegten. Und schließlich führte de Toledo noch den trajín (»Transport«) ein, durch den die Einheimischen genötigt wurden, anstelle von Packtieren schwere Lasten, zum Beispiel Wein, Cocablätter oder Textilien, für die Geschäftsunternehmungen der spanischen Elite zu befördern.
Überall in den amerikanischen Kolonien der Spanier wurden ähnliche Institutionen und Gesellschaftsstrukturen geschaffen. Nach einer Anfangsphase der Plünderungen und der Gier nach Gold und Silber schufen die Spanier ein Netzwerk von Einrichtungen zur Ausbeutung der einheimischen Bevölkerung. Die gesamte Bandbreite von encomienda, mita, repartimiento und trajín sollte den Lebensstandard der Eingeborenen auf ein Minimalniveau hinabdrücken, damit den Spaniern alle über das nackte Überleben hinausgehenden Einnahmen zufielen. Dies erreichten sie, indem sie das Land der indigenen Völker enteigneten, sie zur Arbeit zwangen, ihnen niedrige Löhne zahlten und hohe Steuern auferlegten sowie ihnen überteuerte Preise für Waren abverlangten, die nicht einmal freiwillig gekauft wurden. Diese Institutionen brachten zwar der spanischen Krone einen erheblichen Reichtum ein und ließen die Konquistadoren und deren Nachkommen ebenfalls sehr vermögend werden, aber sie bewirkten andererseits, dass
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