Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition)
Lateinamerika zum »ungleichsten« Kontinent der Welt wurde und einen großen Teil seines wirtschaftlichen Potentials verlor.
… nach Jamestown
Während die Spanier ihre Eroberung des amerikanischen Doppelkontinents in den 1490er Jahren begannen, war England eine zweitrangige europäische Macht, die sich von den verheerenden Folgen eines Bürgerkriegs, des Rosenkriegs, erholte. Es war nicht in der Lage, sich an der Jagd nach Beute und Gold und an der Ausbeutung der einheimischen Völker in Süd- und Nordamerika zu beteiligen. Fast einhundert Jahre später, 1588, löste der glückliche Sieg über die spanische Armada, mit der König Philipp II. versucht hatte, England zu erobern, politische Schockwellen in Europa aus. Bei allem Glück war die Versenkung der Armada auch ein Anzeichen für die wachsende englische Durchsetzungsfähigkeit auf den Meeren, die dem Staat ermöglichen sollte, selbst zur Kolonialmacht zu werden.
Mithin ist es kein Zufall, dass die Engländer mit ihrer Kolonisierung Nordamerikas zu ebendiesem Zeitpunkt begannen. Aber sie entschieden sich nicht deshalb für Nordamerika, weil es attraktiv gewesen wäre, sondern weil sie für eine Okkupation Südamerikas zu spät kamen und nichts anderes mehr zur Verfügung stand. Die »begehrenswerten« Teile Amerikas, in denen es zahlreiche zur Ausbeutung geeignete Eingeborene gab und in denen sich Gold- und Silberminen befanden, waren bereits besetzt worden. Die Engländer mussten sich also mit den Resten zufriedengeben. Als der englische Schriftsteller und Landwirt Arthur Young im 18. Jahrhundert erörterte, wo einträgliche »Grundprodukte« – womit er exportierbare Agrarerzeugnisse meinte – zu finden seien, merkte er an:
Insgesamt hat es den Anschein, dass die Grundproduktionen unserer Kolonien wertmäßig proportional zu ihrer Entfernung zur Sonne sinken. Auf den Westindischen Inseln, die am heißesten von allen sind, machen sie den Betrag von 8 l. 12 s. 1 d. pro Kopf aus. In den südlichen kontinentalen Gebieten belaufen sie sich auf 5 l. 10 s. In den zentralen auf 9 s. 6½ d., in den nördlichsten Siedlungen auf 2 s. 6 d. Aus diesen Größenordnungen lässt sich gewiss eine höchst wichtige Lehre ziehen: Die Kolonisierung in nördlichen Breiten ist zu vermeiden.
Der erste Versuch der Engländer, eine Kolonie zu gründen – nämlich zwischen 1585 und 1587 in Roanake, North Carolina –, war ein völliger Fehlschlag. 1607 versuchten sie es erneut. Ende 1606 stachen drei Schiffe, Susan Constant, Godspeed und Discovery, unter dem Kommando von Kapitän Christopher Newport nach Virginia in See. Die Kolonisten, unter dem Patronat der Virginia Company, segelten in die Chesapeake Bay und einen Fluss hinauf, den sie James – nach dem herrschenden englischen Monarchen Jakob I. – nannten. Am 14. Mai 1607 gründeten sie die Siedlung Jamestown.
Auch wenn die Siedler an Bord der Schiffe, die der Virginia Company gehörten, Engländer waren, hielten sie sich an ein Kolonisationsmuster, das durch das Vorbild von Cortés, Pizarro und de Toledo geprägt war. Als Erstes planten sie, den örtlichen Häuptling gefangen zu nehmen, um der Bevölkerung Proviant abzupressen und sie zu zwingen, ihnen Lebensmittel und Wohlstand zu verschaffen.
Bei ihrer Landung in Jamestown wussten die englischen Kolonisten nicht, dass sie sich innerhalb des Territoriums des Powhatan-Bündnisses aus rund dreißig Gemeinschaften befanden, die einem König namens Wahunsunacock Loyalität schuldeten. Seine Hauptstadt war der lediglich dreißig Kilometer von Jamestown entfernte Ort Werowocomoco. Die Kolonisten planten, sich zunächst einen Überblick über die Situation zu verschaffen. Wenn die Einheimischen nicht veranlasst werden konnten, ihnen Lebensmittel und Arbeitskräfte zu liefern, würden sie vielleicht zumindest Handel mit ihnen treiben können. Der Gedanke, selbst zu arbeiten und Nutzpflanzen anzubauen, scheint den Siedlern nicht in den Sinn gekommen zu sein. So etwas war unter der Würde der Eroberer der Neuen Welt.
Wahunsunacock bemerkte die Anwesenheit der Kolonisten bald und hegte ihren Absichten gegenüber Misstrauen. Er stand an der Spitze eines für Nordamerika recht großen Reiches. Aber er hatte viele Feinde, und ihm fehlte die zentralisierte politische Kontrolle der Inka. Wahunsunacock beschloss, die Aktionen der Engländer abzuwarten, und schickte zunächst Boten aus, die kundtaten, dass er freundschaftliche Beziehungen zu den Siedlern aufnehmen
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