Warum tötest du, Zaid?
zuletzt Laos, Kambodscha und Vietnam.
Am häufigsten war ich in den USA. Dort habe ich besonders
viele Freunde. Ich war mehrfach im Pentagon, im Capitol und auch im Weißen Haus. Viele führende, teilweise heute noch aktive Politiker der USA habe ich persönlich kennengelernt. Zwei meiner Kinder haben in den Vereinigten Staaten studiert. Ich bedaure, dass ich nie die Möglichkeit hatte, selbst dort zu studieren. Die USA waren und sind ein großartiges Land – ein Land, das ich trotz allem noch immer sehr liebe.
Einige meiner Reisen waren sehr beschwerlich. Bei meinem ersten Fußmarsch über den Hindukusch und durch die karstigen Wüsten Afghanistans habe ich sieben Kilo abgenommen. Der Marsch hatte überhaupt nichts Heldenhaftes. Ich war am ganzen Körper von Flöhen und Moskitos zerstochen und sah schrecklich aus. »Heldenhaft« werden derartige Reisen immer erst hinterher, wenn man am Kamin über sie berichtet.
Häufig bin ich gefragt worden, warum ich immer wieder derart mühsame Reisen unternehme. Ich weiß das selbst nicht so genau. Einer der Gründe liegt vielleicht darin, dass ich schon immer einen fast detektivischen Drang hatte, die Wahrheit zu erfahren – die Wahrheit hinter all den wohlklingenden Verlautbarungen und Kommuniqués der Mächtigen und ihrer PR-Maschinen. Die Wahrheit aber kann man nur vor Ort erfahren und nicht im Fernsehsessel.
In den Bombennächten des Jahres 1945, die ich als vierjähriger Bub in der Burgallee am Stadtrand von Hanau erlebte, bin ich zur Verzweiflung meiner Mutter immer wieder ausgebüxt. Ich wollte die Lage vor Ort erkunden und Granat- und Bombensplitter sammeln. Sie mussten möglichst noch warm sein. Obwohl ich nach meinen nächtlichen Recherchen immer den Hintern versohlt bekam, war ich sehr stolz auf meinen Karton selbst gesammelter Granat- und Bombensplitter.
Seit meiner Kindheit hatte ich außerdem nicht sehr viel Respekt vor der Macht und den Mächtigen. Mein Vater erzählte mir vor einigen Jahren, 1946 hätten aufgeregte Nachbarn die Familie aus unserem Haus in Hanau geklingelt. Auf der Burgallee geschehe etwas Schreckliches. Angstvoll rannten meine Eltern durch unseren kleinen Garten auf die Straße.
Dort sahen sie eine lange Kolonne ratternder, dröhnender Panzer stadtauswärts fahren. Direkt vor unserem Haus bogen die Panzer Staub aufwirbelnd scharf nach rechts auf den unbefestigten Gehweg ab. Erst nach etwa zehn Metern fuhren sie wieder auf die Straße. Irgendein unüberwindbares Hindernis musste auf der Straße liegen, das sie zu diesem ungewöhnlichen Ausweichmanöver zwang.
Plötzlich sahen meine Eltern, dass ich das unüberwindbare Hindernis war. Da die Panzerkolonne meine Freunde und mich am Spielen gehindert hatte, war ich auf die Idee gekommen, mich einfach quer auf die Straße zu legen. Auf dem Rücken liegend, sah ich zufrieden zu, wie die mächtigen Kriegsmaschinen quietschend auf den Gehweg ausweichen mussten.
Kreidebleich zerrten meine Eltern mich von der Straße ins Haus. Dort musste ich ihnen hoch und heilig versprechen, mich nie wieder vor fahrende Panzer zu legen. Den Hintern bekam ich diesmal nicht versohlt. Dazu war meinen Eltern der Schrecken zu sehr in die Glieder gefahren.
Dieser mangelnde Respekt vor der Macht, mein kindlicher Glaube an Gerechtigkeit und mein wahrscheinlich genauso naives Bedürfnis, immer die Wahrheit zu erfahren – notfalls auch in Krisengebieten –, haben mich mein ganzes Leben lang begleitet. Noch immer glaube ich, dass man nur seinem Gewissen bedingungslos folgen muss und nicht
den jeweils Mächtigen. Und dass man zu jeder Zeit für Gerechtigkeit und Menschlichkeit eintreten muss, auch wenn das gerade mal nicht dem Zeitgeist entspricht.
Einige Politiker unserer Zeit scheinen den Drang, die Wahrheit zu erfahren, nur begrenzt zu spüren – vom Drang nach Gerechtigkeit ganz zu schweigen. Sie wissen nur wenig von den Realitäten der Länder, über die sie Beschlüsse fassen, gegen die sie Krieg führen oder demnächst Krieg führen wollen. Manchmal scheint mit zunehmender Macht die Unwissenheit exponentiell zu wachsen.
Wie oft habe ich mir bei der Lektüre von Reden europäischer und amerikanischer Spitzenpolitiker über die muslimische Welt an den Kopf gefasst und gedacht, es kann einfach nicht wahr sein, dass Männer und Frauen in derart hohen Positionen solchen Schwachsinn über andere Länder verbreiten.
Für vieles, was ich von deutschen, englischen oder amerikanischen Politikern zu Afghanistan, dem
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