Warum tötest du, Zaid?
junger Iraner.
Am liebsten hätte ich mitgesungen. Aber meine Tochter raunte mir zu, wenn ich das täte, könne ich in Zukunft ohne sie verreisen. Außerdem werde man mich sowieso in den Fluss werfen. Schweren Herzens verzichtete ich auf meine Gesangseinlage.
Vielleicht war das der Grund, warum ich ein Jahr später – während der ersten Woche der Fußballweltmeisterschaft 2006 – nochmals nach Isfahan fuhr. Und als eines späten Nachmittags wieder einige Iraner auf der »33-Bogen-Brücke« ihre Balladen zum Besten gaben, nahm ich mir ein Herz und sang auf Deutsch das Wolgalied aus der Operette »Zarewitsch«. Am Ende des Liedes summten die meisten iranischen Zuhörer mit. Ich bekam tosenden Beifall.
Musikalisch war es vielleicht nicht mein bester Auftritt. Trotzdem werde ich diesen Nachmittag in Isfahan nie vergessen. Als amerikanischer Ehrenoberst – diese Auszeichnung hatte ich als junger Abgeordneter des Wahlkreises Kaiserslautern erhalten – im »Reich des Bösen« eine deutsche Arie zu singen – wer darf so etwas schon erleben?
Auch bei diesem zweiten Besuch im Iran war die Gastfreundschaft der Menschen überwältigend. Die Weltmeisterschaft in Deutschland war Gesprächsthema Nummer eins. Unsere Stadtführerin in Teheran und unser Taxifahrer stritten sich stundenlang, wer uns zum Spiel Iran – Mexiko zu sich nach Hause einladen durfte. Die Stadtführerin entschied schließlich die Auseinandersetzung zwei Stunden vor Spielbeginn autoritär für sich.
Auf meine Frage, ob sie sich zu Hause gegenüber ihrem Mann genauso durchsetze, antwortete sie lachend, das sei im Iran nicht viel anders als in anderen Ländern. Das Kommando habe immer der wirklich Stärkere. In manchen Ehen sei das der Mann, in manchen die Frau. Was die Mullahs dazu meinten, interessiere sie nicht. Die hätten zu Hause oft auch nicht viel zu sagen.
Als ich sie zweifelnd anblickte, nickte sie nachdenklich. Vor allem in ländlichen Gegenden sei die Lage vieler Frauen noch schlecht. Aber das sei kein Problem des Islam, sondern eine Folge uralter patriarchalischer Sitten, die lange vor dem Islam existierten. Die Furcht vieler Politiker, dieses Problem energisch anzugehen, sei deprimierend.
Eine Stunde später in ihrem kleinen Haus legte sie als Erstes ihren »Rooposh«, den im Iran vorgeschriebenen Kittel, und ihr Kopftuch ab. Dann bereitete sie uns in Jeans und T-Shirt eine Kleinigkeit zu essen. Ihr Mann durfte nach dem (verlorenen) Spiel abräumen. Nicht einen Augenblick konnte ein Zweifel aufkommen, wer in dieser Ehe das Sagen hatte.
Meist waren wir im Iran ohne Reiseleiter unterwegs. Wenn wir Autofahrer nach einer Sehenswürdigkeit fragten, nahmen sie uns fast immer in ihrem eigenen Wagen mit. Häufig bezahlten sie uns trotz heftigen Protests auch noch den manchmal nicht ganz billigen Eintritt.
Richtigen Ärger bekam ich bei meinen beiden Iranbesuchen nur einmal. Als ich trotz eines Schildes »Fotografieren verboten« ein Foto des iranischen Parlamentsgebäudes machte, wurde ich von Polizisten auf die Wache beordert und aufgefordert, das Bild in meiner Kamera zu löschen. Alle Versuche, die Polizeibeamten von der unendlichen Torheit dieser Forderung zu überzeugen, scheiterten.
Als ich ihnen jedoch zeigte, dass sich auf meiner Digitalkamera auch Fotos des Eröffnungsspiels der Fußballweltmeisterschaft, Deutschland – Costa Rica, befanden – das ich eine Woche zuvor besucht hatte –, entspannten sich die Mienen der Ordnungshüter. Es entwickelte sich eine lebhafte Diskussion darüber, wer die größten Chancen hätte, Fußballweltmeister zu werden. Meine Fotos vom iranischen Parlament durfte ich schließlich behalten.
Kurz vor unserem Rückflug nach Deutschland sahen wir im Gewühl der Abflughalle des Teheraner Flughafens eine Frau mit einem Kind auf dem Arm, das als Kopfbedeckung eine kleine amerikanische Flagge trug. Ich rieb mir die Augen: Mitten im »Reich des Bösen«, dem der amerikanische Präsident – ohne Rücksicht auf die jeweiligen Analysen der amerikanischen Geheimdienste – in regelmäßigen Abständen mit der Option eines präventiven Militärschlags drohte, schmückte eine junge Iranerin den Kopf ihres etwa zweijährigen Kindes mit den »Stars and Stripes« der amerikanischen Flagge?
Verblüfft fragte ich die Frau, ob sie keine Angst vor den iranischen Sicherheitsdiensten oder den Revolutionsgarden habe. Lächelnd schüttelte sie den Kopf: Kopftücher seien doch nur in Europa verboten. Ich fasste nach und
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