Warum tötest du, Zaid?
Iran, Syrien, dem Irak, aber auch zu Israel und Palästina hören und lesen musste, habe ich mich geschämt – vor allem, wenn ich gerade aus diesen Ländern zurückkam. Ich habe häufig an die Worte von Papst Julius III. und dem schwedischen Kanzler Oxenstierna denken müssen, die beide fast wörtlich übereinstimmend sagten: »Ihr würdet euch wundern, wenn ihr wüsstet, mit wie wenig Verstand die Welt regiert wird.« 2
Hinzu kommt die kaum noch zu überbietende Hemmungslosigkeit, mit der die staatlichen PR-Maschinen einiger westlicher Länder immer kurz vor militärischen Interventionen Gräuelmärchen über den jeweiligen Gegner verbreiten, um anschließend mit Zustimmung der eigenen Bevölkerung und der Weltöffentlichkeit zuschlagen zu können. Nicht nur in »Schurkenstaaten« 3 , auch in den freiheitlichen Staaten des Westens wird schlimm gelogen. Wahrheit ist eines der seltensten Güter der Politik. Die
Irreführung der Weltöffentlichkeit vor dem Irakkrieg und der Versuch, das Ganze im Irankonflikt zu wiederholen, sind nur zwei Beispiele von vielen. Das Traurige ist, dass die Öffentlichkeit auf die pinocchialen Manipulationen der Kriegstreiber immer wieder hereinfällt.
Die muslimische Welt ist über uns meist erheblich besser informiert als wir über sie. Selbst in der ärmsten Hütte des Irak oder des Iran steht heute ein Fernseher. Stundenlang schauen sich die Menschen nicht nur Sportberichte oder Seifenopern an, sondern auch Nachrichtensendungen, die häufig auf westliches Material zurückgreifen.
Der Siegeszug des Internet hat das Wissen vieler Muslime über den Westen weiter vertieft. Staunend musste ich auf meinen Reisen mehrfach feststellen, wie präzise Muslime vor allem der Mittelschicht die westliche Außenpolitik kennen und wie sie immer wieder den Kopf schütteln über die Torheiten, die im Westen über ihre Länder verbreitet werden. Auch auf meiner letzten Irakreise bin ich oft verblüffend gut informierten Menschen begegnet.
Diese letzte Reise in den Irak war neben meinen Afghanistanreisen vielleicht die schwierigste. Bei ihrer Vorbereitung waren mir vor allem ein ehemaliger irakischer Botschafter und ein früherer UN-Koordinator für den Irak behilflich. Sie stellten den Kontakt zu Al-Muqawama, zum irakischen Widerstand, her.
Ich habe meine Gesprächspartner gebeten, mich mit Vertretern möglichst vieler Widerstandsgruppen zusammenzubringen. Dadurch wollte ich, so gut es ging, einen repräsentativen Überblick über den Widerstand bekommen. b Die letzten Details der Reise regelten wir an Pfingsten 2007 in Kairo, Amman und Damaskus.
Ich wollte auf dieser Reise herausfinden, was im Irak unserer Tage wirklich vor sich geht. Ich wollte erfahren, ob aus den friedlichen und liebenswerten Irakern, die ich auf meinen früheren Reisen kennengelernt hatte, wirklich ein Volk blutrünstiger und fanatischer Terroristen geworden war. Und ich wollte wissen, ob der Westen im Zweistromland wirklich so bedingungslos für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte kämpft, wie einige seiner Führer behaupten.
Bewusst habe ich daher keines der »Potemkin’schen Dörfer« besucht, die das Pentagon in allen Teilen des Irak errichtet, um Journalisten unter dem Schutz schwer bewaffneter
Humvees Trugbilder des Friedens und der Stabilität vorzugaukeln. Ich kannte diese Strategie zur Genüge aus Algerien und aus Mosambik. Sie ist die Standard-PR-Strategie aller Besatzer dieser Welt.
Auf meiner Reise habe ich viel gelernt. Mein Zorn auf Angriffskriege und diejenigen, die sie beschließen, aber auch auf Terroristen, die Unschuldige morden, ist weiter gewachsen. Gestiegen ist auch mein Zorn auf die staatlichen Propagandamaschinen der jetzigen US-Administration. Sie vermitteln uns ein Bild des Irak, das mit den Realitäten dieses Landes nicht viel zu tun hat. Die Medien haben gegen diese Propaganda kaum eine Chance.
Da die meisten ausländischen Journalisten das Landesinnere de facto nur in Begleitung der amerikanischen Streitkräfte, d.h. als »embedded journalists«, besichtigen können, bekommen sie in der Regel nur das zu sehen, was sie nach Auffassung der PR-Abteilungen des Pentagon sehen sollen. Und das ist selten die Wahrheit.
Mein Buch ist der Versuch, die andere Seite der Medaille zu beleuchten. Es berichtet, wie irakische Menschen über den Krieg sprechen, wenn keine schwer bewaffneten GIs in ihrer Nähe stehen. Wenn weder Hubschrauber noch Humvees vorher stundenlang das Gelände für Politiker- und
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