Was danach geschah
Mütter hören. Ich habe Bo gebeten, nur seine Nachrichten zu verlesen, doch Piper und ihre Brüste sind größer und besser als Nachrichten.
Sarah, die sich nicht um Einschaltquoten schert, ist satt und, egal worüber er spricht, glücklich darüber, die Miniaturausgabe ihres Vaters im Kasten auf der Kommode zu sehen. Manchmal versucht sie, etwas zu erwidern, als würden sie sich unterhalten.
Ich dusche rasch, während ich überlege, woran ich den Antrag auf ein Urteil in dem beschleunigten Verfahren festmachen soll, an dem ich gerade arbeite, und schiebe meinen Kopf nach draußen, um zu sehen, ob Sarah noch auf dem Bett liegt. Als ihr Papa um sieben Uhr von einem Kollegen abgelöst wird, schalte ich auf Big Bird um, beende die Schminkprozedur und ziehe meine cremefarbene Seidenbluse und das schwarze Seidenkostüm an. Im Kinderzimmer wechsle ich Sarah die Windel und ziehe ihr zunächst einen hellen Baumwollstrampler an, entscheide mich dann aber für eine Hose und ein Sweatshirt, weil mir die am späten Nachmittag durchziehende Kaltfront einfällt, von der Piper sprach. Voller Erstaunen betrachtet Sarah ihre sich über ihrem Kopf bewegenden Hände, als würde sie sie zum ersten Mal sehen – zwei Vögel, die wie aus dem Nichts auftauchten und verzückt zur Musik dahingleiten, die in ihrem winzigen Kopf flüstert. Mit aller Kraft versuche ich, diesen Moment wegzupacken – die riesigen, erstaunten Augen, die sich vorsichtig bewegenden Finger, das Sonnenlicht, das ihre Entdeckungen in strahlendes Licht taucht, die glänzende, perfekte Haut auf ihrem Bauch. All das verschließe ich in meinem Gedächtnis wie ein Schmuckstück in einem Schließfach, um es später noch einmal bewundern zu können.
Ich bringe Sarah mit dem Auto in die Tagesstätte des Juniata College, wo die Pädagogikstudenten ihre Praktika absolvieren. Die Einrichtung ist hell und sauber, und es geht fröhlich zu. Die Professoren und Studenten sind erpicht darauf, die neusten Methoden und Techniken zur Entwicklung des kindlichen Geistes zu erproben. In den kleinen Gruppen erhält Sarah immer genügend Anregungen und Aufmerksamkeit. Immer lacht und spielt sie, und ihre Kinderärztin sagt, ihre sprachliche und kognitive Entwicklung sei für ihr Alter überdurchschnittlich. Wenn ich Sarah hier tagsüber einen Besuch abstatte, bin ich immer wieder überzeugt davon, dass sie hier besser dran ist, als wenn ich mich zu Hause um sie kümmern würde. Doch wenn ich ihr morgens einen Abschiedskuss gebe und sie mit ihren kleinen Händen fuchtelt und mich mit ihren braunen Augen traurig anblickt, frage ich mich, ob ich mir selbst etwas vormache – oder ob ich leide, obwohl es ihr gutgeht.
Während ich den Sicherheitsgurt von ihrem Sitz löse, stellt sie ihr Fläschchen auf den Kopf, als wolle sie mir absichtlich Babymilch über meine Jacke kippen.
»Hey, lass das!«, schimpfe ich in gespielter Wut. »Niemand darf Mamis Lieblingskostüm dreckig machen, auch nicht so ein süßes Ding wie du.«
Um halb neun treffe ich in der Kanzlei ein und winke dem froschgesichtigen Bill Gwynne zu, der mit einem Mandanten telefoniert. Auf seinem Schreibtisch, der gestern Abend von seiner Sekretärin aufgeräumt wurde, herrscht bereits wieder Chaos. Unsere Kanzlei befindet sich in einem alten roten Backsteinreihenhaus neben dem Bezirksgericht in Huntingdon, Pennsylvania. Als die Stadt Ende des 18. Jahrhunderts gegründet wurde, hatte das Haus einem Schmied als Werkstatt gedient. Ich bringe meine Aktentasche und Handtasche in mein Büro im ersten Stock, wo ich zuerst Milch für einen Cappuccino in einem Einmachglas in der Mikrowelle erhitze und aufschäume. Damit gehe ich in unsere kleine Rechtsbibliothek im zweiten Stock, wo ich die Recherchen fortsetze, an denen ich bereits seit vier Wochen arbeite. Ich versuche, eine Verteidigungsstrategie zu entwickeln, mit der unser sehr wohlhabender und äußerst lukrativer Mandant, Alan Fleming, die fünfhunderttausend Dollar, die er sich von einer Bank geliehen hat, nicht zurückzahlen muss. Das mag nach vergeblicher Liebesmüh aussehen, wenn nicht gar nach einem skrupellosen Vorhaben, doch genau das gefällt mir an meiner Tätigkeit als Anwältin: die intellektuelle Herausforderung, einen Fall, den die meisten anderen Anwälte verlieren würden und verlieren sollten, zu gewinnen, indem ich irgendwo eine bisher übersehene Tatsache oder ein vergessenes Gesetz ausgrabe.
An diesem Vormittag überreicht mir die blinde Justitia ein
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