Was der Winter verschwieg (German Edition)
ihrer Kinder nicht schlecht fühlen.“
„Danke.“
„Und wissen Sie was? Es gibt Frauen, die jeden Tag bei ihren Kindern zu Hause bleiben und deren Kinder trotzdem total verkorkst sind. Und dann gibt es Kinder, die jeden Tag in die Kinderkrippe gehen und denen es hervorragend geht. Der entscheidende Faktor ist nicht, ob man zu Hause bleibt oder zur Arbeit geht. Der entscheidende Faktor ist, wie sehr man seine Kinder liebt.“
„Ich wusste gar nicht, dass man im Veterinärstudium auch Kurse in menschlicher Psychologie belegt.“
„Sehr nett, Sophie.“
„Ich meine …“
„Das zu erkennen ist nun wahrlich nicht schwer“, unterbrach er sie. „Glauben Sie mir, Katzenseuche zu diagnostizieren, ist viel schwieriger. Entschuldigung, ich wollte Sie damit nicht beleidigen.“
„Haben Sie nicht“, versicherte sie ihm. Sie schaute ihn genauer an und fragte sich, wieso sie ihn so unglaublich attraktiv fand. Er war nicht gut aussehend, zumindest nicht im herkömmlichen Sinne. Aber er war groß und herzlich und besaß eine Offenheit, die ungemein ansprechend war. Und er hatte die unglaublichsten Augen, braun mit dichten, langen Wimpern. Und seine Lippen … Guter Gott, dachte sie, kaum einen Tag hier, und schon habe ich mich in meinen Nachbarn verknallt. Verknallt? Ja. Genauso fühlte es sich an. Ein viel zu angenehmes Kribbeln in der Magengegend – ein Gefühl, das Highschoolmädchen nur zu gut kannten, das Sophie hingegen schon beinah vergessen hatte. Doch Noah erinnerte sie daran, dass man in einigen Dingen niemals erwachsen wurde.
„Ich gehe dann mal besser …“
„Ich will Sie nicht aufhalten …“
Sie sprachen beide gleichzeitig und hörten auch gleichzeitig wieder auf.
„Danke für alles, Noah.“ Sophie errötete, als könne er ihre Gedanken lesen. „Ich weiß das wirklich zu schätzen.“
„Wir sehen uns morgen.“ Er nahm ihr Handy vom Küchentresen und speicherte seine Nummer ein. „Rufen Sie mich an, wenn Sie etwas brauchen. Egal, was es ist.“
Für einen Moment, den Bruchteil eines Herzschlags, wäre es vollkommen natürlich für sie gewesen, sich ein wenig vorzulehnen und ihm ihre Lippen zum Kuss darzubieten. Ein Kuss? Wie kam sie denn darauf? Und wieso ließ es sie nicht wieder los? Sie sah ihn so deutlich vor sich, dass sie sich dumm vorkam. Gleichzeitig fragte sie sich, ob Noah es auch fühlte, diese flüchtige Verbindung, dieses Verlangen, das aus dem Nichts zu kommen schien.
„Passen Sie auf sich auf“, sagte er. „Ich bringe morgen irgendwann im Laufe des Vormittags Feuerholz vorbei.“
Er ist wirklich ein außerordentlich netter Mann, dachte sie und schaute ihm nach, wie er die Außentreppe hinunterging und in seinen Truck stieg. Irgendein Schutzengel musste ihr beigestanden haben, als sie direkt vor Noahs Haus in den Graben gefahren war.
Ein kalter Wind blies über den See, wirbelte Schnee auf und trieb ihn aufs Haus zu. Sophie zitterte und drehte nach dem Hineingehen erst einmal die Heizung auf. Dann fing sie an, sich mit dem Haus vertraut zu machen und ihre Sachen auszupacken.
Das Haus hatte einen einfachen Grundriss. Jedes Zimmer war auf den See ausgerichtet. Es gab zwei Schlafzimmer, zwei Badezimmer und einen Hauptraum, der Küche, Ess- und Wohnzimmer vereinte. Die Möbel waren auch sehr einfach. Rustikale Tische, gepolsterte Sessel, Lampen mit bemalten Schirmen. Es gab einen Schrank mit einer Auswahl an Schnee- und Schlittschuhen. Irgendwann mussten die Eigentümer des Hauses mal einen Hund oder eine Katze gehabt haben, denn neben dem Ofen lag eine gefütterte Decke, und in der Küche war ihr ein Set Futterschüsseln aufgefallen.
Sie brauchte einige Zeit, um ihren Laptop einzurichten und mit ihrem Smartphone zu verbinden, damit sie eine Internetverbindung hatte. Schnell schickte sie eine kurze E-Mail an ein paar Freunde, darunter Bertie, um sie wissen zu lassen, dass sie angekommen und alles gut war. Ihren Zusammenstoß mit dem Rehbock verschwieg sie dabei allerdings.
Dann packte sie ihre Koffer aus. Beim Anblick ihrer vollkommen ungeeigneten Garderobe schüttelte sie den Kopf. Die maßgeschneiderten Anzüge mit den eleganten Hosen und Röcken, die Designerschuhe und Seidenstrümpfe würden ihr in dieser Umgebung gar nichts nützen.
Gut, dachte Sophie. Das lieferte ihr einen Vorwand, Daisy zum Shoppen von schneegeeigneter Kleidung einzuladen. Vorausgesetzt, Daisy wollte überhaupt noch etwas mit ihr zu tun haben.
Das ist die vollkommen falsche Einstellung,
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