Was der Winter verschwieg (German Edition)
Sicher, sie waren noch Kinder gewesen, und zwischen ihnen war nichts passiert, aber trotzdem war ihnen beiden vom ersten Moment an klar gewesen, dass ihre Leben von jetzt an miteinander verbunden waren. Einen Moment lang hatte die Welt stillgestanden. Als Fotografin wusste Daisy, wie die Kamera einen besonderen Augenblick festhalten konnte. So hatte sie sich gefühlt, als sie Julian Gastineaux getroffen hatte. Er war einfach … großartig. Sie kannte ihn kaum, doch sie wusste, dass er wichtig für sie war.
Und dann gab es Logan. Als sie ihn getroffen hatte, hatte die Welt nicht stillgestanden. Es war in einem Kindergarten in Manhattan gewesen. Er hatte ihre Zöpfe mit blauer Farbe beschmiert. Als Teenager hatten sie ein paar wilde Zeiten miteinander erlebt. Daisy hatte sich oft vorgestellt, dass er wirklich Prince Charming und sie in ihn verliebt wäre. Doch das entsprach nicht der Realität. Es war mehr als bizarr, dass sie beide nun ein Kind zusammen hatten.
Falsch, korrigierte sie sich in Gedanken. Wir haben zwar ein Kind, aber wir sind nicht zusammen.
10. KAPITEL
S ophie stand am Fenster ihres gemieteten Hauses am See und sah zu, wie Noah Shepherd den Schnee von der Treppe schaufelte. Sie stellte fest, dass ihr Nachbar eine angenehme Ablenkung bot. Etwas früher am Tag hatte er die Schneefräse vor seinen Truck gespannt und ihre Auffahrt geräumt. Sie war ihm in ihrem Mietwagen gefolgt, den er ebenfalls mit seinem Pick-up aus dem Graben gezogen hatte. Er hatte darauf bestanden, ihr eine Grundausstattung Lebensmittel aus seiner Vorratskammer mitzugeben, da die Straßen immer noch unpassierbar waren und es vermutlich noch ein oder zwei Tage dauern würde, bis sie geräumt wären. Außerdem hatte er ein Feuer in dem Holzofen entzündet und versprochen, ihr am folgenden Tag mehr Feuerholz vorbeizubringen.
Der Mann ist wie ein Gemischtwarenhändler, dachte sie, während sie die Wölkchen betrachtete, die sein rhythmischer Atem in der Luft hinterließ.
„Ich kann Ihnen gar nicht genug danken“, sagte sie, als er nach getaner Arbeit hineinkam und sich den Schnee von der Jacke schüttelte.
„Doch, das können Sie“, erwiderte er. „Ich bin da ganz unproblematisch.“
Ja, das bist du, dachte sie: einfach zu mögen.
„Haben Sie inzwischen Ihre Kinder erreicht?“, fragte er, während er den Abzug des Ofens regulierte.
„Ich habe Nachrichten auf ihren Mailboxen hinterlassen. Ich versuch’s später noch mal.“ Sie versuchte, ihre Sorgen und Unsicherheit zu verbergen. Ihre Kinder schienen so gelassen mit ihrer ständigen Abwesenheit umzugehen. Für die beiden war es inzwischen ganz normal, dass sie ständig unterwegs war. Guter Gott, würde sie das jemals wieder auf die Reihe kriegen?
„Die beiden wohnen also in der Stadt?“, wollte Noah wissen.
Sie nickte. „Daisy hat sich gerade ein eigenes Häuschen in der Orchard Avenue gemietet, und Max wohnt bei seinem Vater im Inn am Willow Lake.“
Noah richtete sich auf und schenkte Sophie seine ganze Aufmerksamkeit.
Nervös verschränkte sie die Finger. „Und ich muss ehrlich sagen, dieser Teil der Unterhaltung wird mit den Jahren nicht einfacher. Also der Teil, wo ich sage, dass meine Kinder bei ihrem Vater leben. Ich fände es einfacher, zu sagen, ich hätte eine sexuell übertragbare Krankheit oder ein langes Vorstrafenregister.“ Verstand Noah – verstand überhaupt irgendjemand –, wie unglaublich beschämend dieses Eingeständnis war?
„Wow, Sie genießen es aber wirklich, sich selbst schlecht zu machen“, bemerkte Noah.
„Tue ich nicht.“
„Warum machen Sie es dann?“
„Weil …“ Sie stockte, war es nicht gewohnt, einem vollkommen Fremden ihr Herz auszuschütten. „Das hat mich noch nie jemand gefragt.“ Aus zusammengekniffenen Augen sah sie ihn an. Sie war misstrauisch und auch ein wenig verärgert.
„Haben Sie denn eine Antwort?“
„Darüber muss ich erst mal nachdenken.“
„Gehen Sie nicht zu hart mit sich ins Gericht, sonst verlieren Sie die Wahrheit aus den Augen.“
„Danke, Dr. Freud.“ Sie warf ihm einen leicht genervten Blick zu. „Sind wir dann mit den hässlichen, persönlichen Themen durch?“
„Das liegt bei Ihnen. Wenn Sie reden wollen – ich bin ganz Ohr.“ Er grinste. „Ich will nicht in Ihren Familienangelegenheiten herumschnüffeln. Ich schätze, Sie werden es mir erzählen, wenn Sie dazu bereit sind.“
Erneut kniff sie die Augen zusammen. „Oder auch nicht.“
„Sie sollten sich wegen
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