Was der Winter verschwieg (German Edition)
häuslich eingerichtet und erst nach einer Weile gemerkt, dass das auf Dauer sicher nicht der richtige Weg wäre. Noch immer hatte sie große Angst davor, zu sehr von ihrem Vater abhängig zu werden und niemals zu lernen, selbstständig zu sein.
„Es ist doch kein Verbrechen, die Familie um Hilfe zu bitten“, beharrte Logan.
„Das ist kompliziert.“
„Das ist Familienkram meistens.“ Er grinste Charlie an. „Stimmt’s, Kumpel?“
Er muss es wissen, dachte Daisy. Er kam aus einer reichen New Yorker Familie, die es ihm nicht leicht gemacht hatte. Sein Vater war ein Workaholic, der große Pläne für Logan hatte. Seine Mutter hatte große soziale Ambitionen und träumte davon, dass ihr Sohn eines Tages zur Crème de la Crème der Stadt gehörte. Ihre Erwartungen an ihn waren enorm. Die O’Donnells wollten, dass Logan aufs Boston College ging, ihre eigene Alma Mater. Er sollte Management und Finanzen studieren und später die Reederei der Familie übernehmen. Stattdessen hatte er sich für die SUNY in New Paltz entschieden, um näher bei Charlie sein zu können.
Daisy konnte sich gut vorstellen, was die O’Donnells davon hielten. Logans Eltern waren noch nie zu Besuch gekommen, um das Baby zu sehen. Sie schienen Charlies Existenz zu leugnen und zu glauben, dass Logan sich glücklich schätzen könne, dass Daisy keinen Unterhalt forderte. Natürlich gaben sie Daisy die alleinige Schuld an der Situation.
„Ich schätze, ich könnte das Studium noch ein Semester verschieben“, sagte sie.
„Aber das willst du nicht“, erwiderte er. „Das spüre ich.“
Sie hasste es, dass er sie so gut kannte. „Ich finde schon eine Lösung.“
„Ich will dir helfen.“ Das sagte Logan schon, seitdem er erfahren hatte, dass sie schwanger war. Anfangs dachte sie, er würde schnell darüber hinwegkommen, Verantwortung übernehmen zu wollen, doch er hatte sie und vermutlich alle, die ihn kannten, überrascht, indem er nicht aufgegeben hatte.
„Ich kann das alleine.“
„Verdammt, Daisy. Warum bist du so dagegen, dass ich dir helfe?“
„Weil ich dir nicht vertraue, okay?“ Sie sah keinen Sinn darin, Rücksicht auf seine Gefühle zu nehmen. Nicht wenn es um ihren Sohn ging. Obwohl Logan nach außen hin Prince Charming war, hatte er auch eine dunkle Seite. Er war ein Abhängiger – und würde es laut Definition den Rest seines Lebens bleiben. Die gesamte Highschoolzeit hindurch hatte er Kokain genommen und es irgendwie geschafft, die große Katastrophe bis zum letzten Schuljahr zu verhindern. Nach einem Partywochenende – demselbenen Wochenende, an dem er Daisy geschwängert hatte – war er für den Besitz von Rauschgift verhaftet und in eine Entzugsklinik gesteckt worden. Entgegen allen Erwartungen war er seitdem clean geblieben, besuchte regelmäßig die Treffen der Anonymen Alkoholiker und war, soweit Daisy das einschätzen konnte, trocken.
Sie war stolz darauf, dass er das Programm durchzog, und dankbar, dass er so entschlossen war, ein Teil von Charlies Leben zu sein. Aber manchmal fragte sie sich, ob er das tat, weil er es wollte oder weil es Teil des Zwölf-Schritte-Programms war und er sich dazu verpflichtet fühlte.
„Ich weiß nicht, was ich noch tun soll, damit du mir vertraust.“ Seine Kiefermuskeln spannten sich an. „Und ich weiß nicht, wovor du solche Angst hast.“
Sie fühlte sich schlecht, weil sie Logan gegenüber so auf der Hut war. Aber Charlie war ihr Kind. Sie durfte kein Risiko eingehen. „Ich fürchte, dass er sich an dich gewöhnen könnte und du dann eines Tages einfach aufhörst, ihn zu besuchen.“
„Hey, hast du es immer noch nicht verstanden? Ich werde nirgendwo hingehen, Daze. Ich bin ein Teil von Charlies Leben, und das werde ich auch immer bleiben. Besser, du gewöhnst dich langsam daran.“
Das war noch etwas, wovor sie Angst hatte – dass er sein Versprechen halten würde. Denn dann würde sie sich unweigerlich mit der Tatsache auseinandersetzen müssen, dass er auch für immer ein Teil ihres Lebens bliebe.
Okay, das war bewundernswert, aber es war auch … Sie wusste nicht genau, wie sie damit umgehen sollte. Wie konnten sie sich in ihrem Alter über irgendetwas sicher sein? Hätte sie, wenn Logan Teil ihres Lebens wäre, noch Platz für irgendjemand anderen?
Nicht, dass es jemand anderen gäbe, aber eines Tages vielleicht. Im Sommer vor zwei Jahren war Daisys Familie auseinandergebrochen, und alles hatte sich verändert. Da hatte sie jemanden kennengelernt.
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